PNN 31.12.11

Das Gespräch

von Peter Könnicke

Die Geschichte eines Silvester-Treffens, wie es nie stattfinden oder von dem man nie etwas erfahren würde

„Was machst du denn Silvester?“

Wolfgang Blasig hob erstaunt den Kopf. Mit dieser Frage hatte er nun gar nicht gerechnet.

„Silvester?“, sagte er. „Keine Ahnung.“

Landrat Blasig saß am Tisch von Werders Bürgermeister Große. Die anderen waren schon eine Weile weg. Die leeren Kaffeetassen standen noch auf dem Tisch, an der Thermoskanne klebte eine braune Kaffeespur.

Blasig hatte sich mit ein paar Bürgermeistern getroffen, um seine nächste Kreisreise zu planen. Er hatte nur noch keine Idee für ein Motto. „Ich bin so uninspiriert“, hatte er jüngst seinem Fahrer gestanden, als sie auf dem Weg zu einer Forellenzuchtanlage waren, wo er ein Grußwort für das Firmenjubiläum sprechen sollte.

Insgeheim konnte sich Blasig vorstellen, seine nächste Dienstreise durch Potsdam-Mittelmark mit einem Besuch der Golfanlage am Seddiner See zu beginnen, dann weiter zum Poloclub nach Phöben zu fahren, dann Wakeboard am Strandbad Templin und zum Abschluss eine kurze Visite in der alten Kleinmachnower Heimat beim Tennisclub. „Work-Life-Balance in PM könnte man das Ganze nennen“, sinnierte Blasig.

Seit er Landrat ist und jeden Tag von Kleinmachnow nach Belzig muss, legt er viel Wert auf Ausgleich. Denn so stressig hatte er sich das nicht vorgestellt. Anfangs hatte er eifrig Termine gemacht, er telefonierte, recherchierte, debattierte, gestikulierte. Ob Windkrafträder, Buslinien, Abgaben – er verbrachte viel Zeit damit, „die Dinge nach unseren intellektuellen Möglichkeiten auszuformulieren“, wie er einmal in kleiner Runde verriet. Dann hatte er in einer Zeitung gelesen, dass sich der Potsdamer Oberbürgermeister darüber mokierte, dass er, Blasig, wegen jedem Scheiß anrufe. „Nee“, dachte Blasig, „das muss ich mir nicht geben. Ich kann auch ruhiger.“

„Ich könnte einen Abend in der Therme organisieren“, sagte Große.

„Äh?“, machte Blasig

„Na zu Silvester. Ganz intim.“

Blasig kniff die Augen zusammen: „Intim?“

„Naja“, sagte Große, „also nicht so intim wie intim, sondern, hmm - intern. Ja, intern.“

„Intern?“

„Naja, ich könnte da rein, in die Blütentherme.“

„Ach!“

Große nickte: „Hmm. Und dann könnten wir ja Silvester in der Blütentherme feiern. Vorab“.

„Vorab?“

„Ja. Bevor die Therme offiziell aufmacht.“

Blasig überlegte. In Werder enstand gerade die Blütentherme. Saunalandschaft, diverse Solebecken, Schwimmbecken, Poolbar. Palmen. Seit einigen Monaten wird gebaut.

„Ist denn da schon Wasser drin?“

„Soll so sein, hab ich zumindest so gehört.“

„Und wie kommen wir da rein?“, wollte Blasig wissen.

„Hier“, sagte Große und reichte Blasig eine Karte, auf der die Kristall Bäder AG zu einem „Preview“ einlud: „Andere machen eine Jungfernfahrt, wir ein Jungfernbad“, stand auf der Karte. Man würde zu einem erlesenen Kreis auserwählter Gäste gehören und sollte sich bei Interesse melden, hieß es weiter.

„Interessant“, sagte Blasig. Es war ja nicht die erste Sache, die er einweihen würde. Ständig bekam er Einladungen, um irgendetwas zu eröffnen. Als in Güterfelde der See fertig saniert war, ist damals auch der damalige Bürgermeister Enser als Erster baden gegangen. Mit Neoprenanzug. Und in Schönefeld suchen sie gerade für den neuen Flughafen auch Testpassagiere. Aber das mit der Therme?

„Ich weiß nicht“, sagte Blasig schließlich: „Wie das aussieht. Wir allein in der Blütentherme!“

„Also doch zu intim?“, fragte Große.

„Nee, aber anrüchig?“

„Aber da ist doch nichts dabei, wenn wir baden gehen“, sinnierte Große.

Blasig überlegte: „Einerseits wollen bestimmt einige, dass wir baden gehen. Politisch gesehen. Aber anderseits geht es um political correctness.“

Es war inzwischen dunkel geworden. Der Parkplatz vorm Rathaus war leer, die beiden saßen allein an dem Besprechungstisch in Großes Büro. Der Bürgermeister stand auf, ging an seinen Schreibtisch. Blasig hörte, wie Große eine Schublade aufzog und zwei Flaschen gläsern aneinanderschlugen.

„Obstler?“, fragte Große und tauchte hinter dem Schreibtisch mit einer Flasche auf.

„Von hier, aus Werder?“, fragte Blasig. „Ich dachte, ihr habt nur Obstwein.“

„Nee, manche machen auch Schnaps. Aber wir hängen das nicht so an die große Glocke, wegen Tradition und so“, sagte Große.

Blasig nickte. „Verstehe.“ Er lehnte sich zurück. „Lass mal kosten!“ Große holte zwei Schnapsgläser aus der Schublade und machte beide randvoll.

„Prost!“

„Zum Wohl!“

Blasig schüttelte sich. Große grinste. „Is jut, wa?“

„Grausig. Aber gib mal noch einen!“

„Nee, Werner“, sagte Blasig schließlich vertrauensvoll, „ich sag dir: Wir stehen unter Beobachtung.“ Er begann zu erzählen, wie in Kleinmachnow getuschelt wurde, nur weil er eine Zeitlang mit dem Chef eines großen Baukonzerns Tennis spielte. „Dabei wollte ich gar nichts von dem, der hatte nur eine ausgesprochen gute Rückhand.“

„Weiß ich doch“, sagte Große.

„Jetzt spiele ich ja Golf“, fuhr Blasig fort. „Was ist denn dein Handicap?“

Große guckte irritiert: „Ich hab kein Handicap, mir fehlt nichts.“

„Mann Werner, deine Vorgabe beim Golf!“,

„Hab ich noch nie gespielt.“

„Musste mal machen. Ist gut für die Seele.“

„Aber gefährlich“, meinte Große.

„Quatsch. Darfst halt nicht da rumstehen, wo die Bälle hinfliegen.“

„Ist schon klar. Ich meine nur, dass Golf ja nur von den Reichen und Schönen gespielt wird. Da macht man sich doch gleich wieder verdächtig.“

Blasig kraulte sich sanft den Bart: „Ich bin nicht reich.“ Er nippte an seinem Schnapsglas, leckte mit der Zungenspitze an der Oberfläche der Flüssigkeit und stellte das Glas wieder ab. „Neulich“, begann er zu erzählen, „da war ich auf so einem Forellenhof. Dienstlich. Die wollten mir ein Bündel Fische mitgeben. Hab ich nicht gemacht.“

„Kenn ich“, sagte Große. „Ich frage mich inzwischen, ob ich bei einem Richtfest ne Haxe essen darf oder nur ne Suppe“, sagte Große.

„Ich mag keine Haxe“, sagte Blasig und trank seinen Obstler.

„Und beim Blütenball hab ich das Privileg, als Erster mit der Baumblütenkönigin zu tanzen. Da hab ich immer ganz weiche Knie“, sagte Große.

„Wegen der Königin?“, fragte Blasig.

„Quatsch! Wegen des Privilegs.“

Große schenkte nach und sie redeten über die große Politik. Über Schreiber und Kohl, Gysi und Bonusmeilen, über Dienstautos in Spanien, über Miles & More und Özdemir, über Guttenberg und Koch-Merin, über Wulff und Billigzinsen.

„Dann lassen wir das lieber mit Silvester?“, sagte Große und füllte mit dem Rest der Flasche noch einmal zwei Gläser.

Blasig nickte: „Ist zu heiß.“

„Eigentlich nicht. Sollen so um die 40 Grad sein in dem Solebecken.“

„Ich meine politisch“, sagte Blasig.

„Ja“, sagte Große, „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps.“

„Ja“, erwiderte Blasig „irgendwie wie Work-Life-Balance.“

Am 31. Dezember machte sich Werner Große auf zu Wolfgang Blasig. Der Landrat hatte am Vortag angerufen und ihn zu einer Partie Golf eingeladen.

„Wer kommt denn noch?“, wollte Große wissen.

„Keiner weiter“, hatte Blasig geantwortet und gemeint, sie würden unverfänglich und politisch korrekt am Abschlag stehen. Er hatte zu Weihnachten eine Wii-Spielekonsole gekriegt.