PNN 11.08.2011

 

Plötzlich keine Arbeit mehr

von Thomas Lähns

Kleinmachnow war schon immer auf Berlin ausgerichtet. Der Mauerbau bedeutete einen tiefen Einschnitt

Kleinmachnow - Willi Stoph hatte die Order am 14. August 1961 per Funkspruch gegeben: Zur „Erhöhung der Wachsamkeit und Sicherheit“ in den Betrieben Kleinmachnows sollten an diesem Montag alle nötigen Maßnahmen getroffen werden. Vor allem Grenzgänger, die bislang in Westberlin gearbeitet hatten, müssten „schnellstens“ in den hiesigen Werken eingestellt werden. Denn nach Berlin kamen sie nicht mehr: In der Nacht zuvor waren die Grenzübergänge geschlossen worden – und die DDR begann, eine Mauer um Westberlin zu ziehen.

„Dass sie nicht mehr zur Arbeit kamen, war die größte Zäsur für die Kleinmachnower“, sagt der Ortschronist Günter Käbelmann. Rund 85 Prozent der Einwohner hatten bis zum Mauerbau in Berlin gearbeitet, viele im Westteil der Stadt. Und so standen, als die Grenze endgültig dicht war, Tausende plötzlich ohne Arbeit da. Zwar bekamen sie neue, meist schlechtere Jobs zugewiesen, doch viele haben erst einmal vom Ersparten gelebt. „Sie haben auf Kennedy gewartet“, so Käbelmann.

Manche haben sich sogar noch erfolgreich durch die Stacheldrahtzäune gezwängt, „denn es war ja nicht so, dass die Mauer von einem Tag auf den anderen stand“. Tatsächlich ist laut Ortschronik erst Ende der 1970er der bewachte Zaun zwischen Wolfswerder und Berlin-Zehlendorf durch eine Mauer ersetzt worden.

Günter Käbelmann, Jahrgang 1936, hat den Mauerbau in Kleinmachnow selbst erlebt – und ihn anhand von Zeitzeugenberichten und historischen Akten auch wissenschaftlich aufgearbeitet. Seine Gemeinde wurde von der Deutschen Teilung besonders hart getroffen: „Kleinmachnow war schon immer ausgerichtet auf Berlin“, erklärt er. Und so stand der Trabant der großen Stadt am 14. August 1961 plötzlich ganz allein da: Nach Norden hin komplett abgeriegelt, und nach Süden hin nur durch drei Brücken über den Teltowkanal mit der DDR verbunden.

Dass der Arbeiter- und Bauernstaat ihnen keine guten Lebensbedingungen bescheren würde, hatten viele Kleinmachnower bereits seit 1945 geahnt. Rund 5000 Menschen, also rund ein Drittel der damaligen Einwohnerschaft, hatten sich bis 1961 in den Westen abgesetzt. Die Zahlen kann Käbelmann mit Listen aus dem Flüchtlingslager Marienfelde belegen. Viele werden sich hier gar nicht erst eingetragen haben, sagt er, sondern sind gleich weiter nach Westdeutschland gezogen. Doch viele harrten auch aus – weil sie noch hofften: Bis zum 13. August 1961 habe sich das Gerücht gehalten, dass die Gemeinde doch noch zu Westberliner Gebiet erklärt wird. Ein anderes lautete allerdings, dass die widerspenstige Einwohnerschaft komplett nach Thüringen umgesiedelt werden sollte.

Käbelmann, der damals als Fahrlehrer in der Region Teltow arbeitete, kann sich noch an die Lautsprecherwagen erinnern, die am 14. August auch in Kleinmachnow an der Grenze auffuhren: Mit propagandistischen Reden wurde den Nachbarn in Berlin der vermeintliche „Erfolg der Grenzsicherungsmaßnahmen“ entgegengebrüllt. „Und dann holten die auf der anderen Seite Lautsprecherwagen heran, größere und lautere“, erinnert sich der Chronist.

Der Propagandakrieg habe mehrere Tage gedauert. Währenddessen wurde die Grenze befestigt: Pfähle wurden eingeschlagen, Stacheldraht gezogen und sogenannte Spanische Reiter als Fahrzeugsperren aufgestellt. 50 bis 60 Bürger mussten ihre Häuser verlassen, weil die zu dicht an der Grenze lagen. Abgerissen wurden nur wenige Gebäude, die meisten wurden mit linientreuen DDR-Bürgern besetzt.

Die Grenze hat in Kleinmachnow immer wieder auch Todesopfer gefordert – schon vor dem Mauerbau. Käbelmann zählt dazu seinen ehemaligen Mitschüler Hans-Jochen Schindler. Der war 1946 erschossen worden – von amerikanischen Soldaten. Hungrig war er mit weiteren Jugendlichen in einem Zehlendorfer Besatzerlager stehlen gegangen. Auf der Flucht traf ihn eine Kugel. Einen weiteren Grenztoten hat Käbelmann 1950 vermerkt: Gerd Freßdorf wurde erschossen, als er am 13. Oktober in Dreilinden versuchte, durch den Stacheldraht zu fliehen. Auch der Oberschüler Werner Prochnow sei lange vor dem Mauerbau von der Volkspolizei erschossen worden, als er aus dem Fenster seines Wohnhauses am Grenzstreifen sprang. Der Fall ist mündlich überliefert. Hinzu kommen die fünf bekannten KLeinmachnower Mauertoten: Roland Hoff, Peter Mädler, Christian Buttkus, Walter Kittel und Karl-Heinz Kube. Männer zwischen 17 und 27 Jahren, die es in der DDR nicht mehr aushielten – und deshalb sterben mussten. Thomas Lähns