PNN 10.8.11

 

"Alles gesehen und geschwiegen"

von Ariane Lemme

Die Bilder des Kleinmachnower Hobbyfotografen Georg Heinze zeigen die letzten Tage der Mauer

Kleinmachnow - Blauer Himmel, zwei Kinder spielen auf einem umgestürzten Wachturm, ein paar Radler fahren entspannt daran vorbei. Auf dem Bild daneben sieht man Spaziergänger aus dem Kommandoturm an der Teltower Oderstraße kommen. Wieder andere zeigen die eingeschlagene Hinterlandmauer und demontierte Stacheldrahtzäune. Die Fotos der Ausstellung „Kleinmachnow eingegrenzt – Grenzbilder 89/90“ machen auf den ersten Blick deutlich, dass hier etwas im Umbruch ist.

„Die Brutalität des DDR-Grenzsystems war mir auch schon vor dem Fall der Mauer bewusst“, sagt Georg Heinze. Als er aber im Oktober 1989 für seinen damaligen Arbeitgeber, die Gärtnerei Produktionsgenossenschaft Alpina (GPG), in der Nähe des Kontrollpunktes Dreilinden zu tun hatte, drang er verbotenerweise ins Grenzgebiet vor und riskierte einen Blick auf die Mauer.

Was er sah, schockierte ihn. Stacheldraht an Isolatoren, der Anblick erinnerte ihn unwillkürlich an einen Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald. Eine Woche lang ließ ihm das Gesehene keine Ruhe. Dann beschloss er, alles mit seiner Kamera zu dokumentieren. Ganz ungefährlich war das nicht.

Als Ortsnaturschutzbeauftragter hatte er zwar Zugang zu den Grenzanlagen, dort zu fotografieren, war aber nicht erlaubt. Trotzdem gelangen ihm dort einzigartige Aufnahmen der Mauer, die kurz vor ihrem Ende stand. Angst, sagt Heinze, habe er nicht gehabt. Überwacht worden sei er damals ohnehin schon: „Weil ich im Grenzgebiet lebte.“ Die fertigen Filme versteckte er sicherheitshalber trotzdem, erst 1992 ließ er die Bilder entwickeln. „In der DDR lernte man die Kunst, alles zu sehen, alles zu hören, aber zu schweigen“, sagt Heinze.

Fast 22 Jahre später wird die bisher größte Auswahl dieser 1989 bis 1990 entstandenen Fotos im Kleinmachnower Rathaus ausgestellt. „Die Mauer war ein monströses, unmenschliches Machwerk“, sagte Ludwig Burkhardt, CDU-Fraktionschef in Kleinmachnow bei der Eröffnung am Montagabend. Hier, an der unmittelbaren Grenze zu Westberlin, sei die Teilung hautnah erlebbar gewesen. Die Infrastruktur sei bereits vor dem Zweiten Weltkrieg an der Hauptstadt orientiert gewesen. „Der Mauerbau hat aber nicht nur Straßen und Schienen, sondern auch Familie und Freunde auseinander gerissen“, so Burkhardt.

Auch Heinze hat teilweise groteske Erfahrungen mit dem System gemacht. In Griebnitzsee wurde er einmal mit einer Reihe von Pflanzplänen verhaftet, hinter den lateinischen Namen der Pflanzen vermuteten die Beamten einen verschlüsselten Spionageplan. Bei allem Schrecken ist Georg Heinze bis heute auch fasziniert vom materiellen Aufwand, mit dem die SED-Diktatur ihre Macht zu sichern versuchte. „Technisch war die Grenzanlage perfekt ausgereift“, sagt er kopfschüttelnd. An vielen Stellen etwa war der Beton leuchtend weiß gestrichen  – um selbst den Schatten von allem, was sich eventuell in der Nähe bewegte, sichtbar zu machen. „Sonst gab es keine Farbe, für diese Zwecke war offenbar reichlich da.“

Das Weiß strahlte noch, als das System bereits zerbrochen war: Auf einem der Fotos stehen zwei junge Männer in dicken Jacken lachend vor den Mauerresten, scharf zeichnen sich ihre Schatten in der Wintersonne darauf ab. An einer Stelle ist das Bauwerk schon brüchig, dahinter ist die Autobahnbahnbrücke Königsweg zu sehen.