PNN 15.09.10

 

Von Peter Könnicke

Aufschrei gegen Lärm

Unmut und Unverständnis gegen BBI-Routenplanung wird lauter / Bürgerinitiative in Teltow gegründet (15.09.10)

Teltow - Niemand hier auf dem Teltower Marktplatz hat eine Ahnung, wie laut 60 Dezibel sind. „Verkehrskrach an einer Straße“, sagt einer. „Nee, das ist Bürolärm“, meint ein anderer. Beides kann krank machen. Fakt ist: 60 Dezibel ist unter Fachleuten der Grenzwert zur Stressbelastung. Daher gilt die gesetzliche Richtlinie, dass Fluglärm über Siedlungsgebieten nicht lauter als 53 Dezibel sein darf. Zumindest bekamen am Montagabend die etwa 500 Menschen auf dem Marktplatz eine Ahnung, wie es sich anhört, wenn ein Flieger nach Schönefeld über Teltow fliegt – just, als Bürgermeister Thomas Schmidt (SPD) zur Mobilmachung gegen Fluglärm aufrief.

Das Geräusch wird künftig häufiger zu vernehmen sein, geht es nach der Deutschen Flugsicherung. In deren neuen Plänen über den Flugroutenverlauf des neuen Großflughafens taucht die Region Teltow als Flugkorridor auf. „Über Nacht sind wir zur Einflugschneise geworden“, konstatiert der Bürgermeister fassungslos. Bislang galten Blankenfelde, Mahlow, Waltersdorf, Diepensee als Orte, über denen sich der BBI-Verkehr abspielen wird. Dass nun der Süden Berlins mit der Region Teltow und Wannsee in den Routenmodellen skizziert werden, liegt unter anderem an einer EU-Richtlinie, nach der Flugzeuge bei zwei parallelen Startbahnen aus Sicherheitsgründen beim Abheben um mindestens 15 Grad abknicken müssen. Jetzt diskutieren Experten, ob nur ein startendes Flugzeug den Schwenk machen muss oder 7,5 Grad reichen, was wiederum Einfluss auf die Routen hätte.

Die Diskussion wird reichlich spät geführt: Denn die Richtlinie stammt aus 2004, dem Jahr, in dem die Planfeststellung für den BBI beschlossen wurde. „Es hätte schon vor Jahren klar sein müssen, dass die damals festgelegten Routen womöglich nicht zulässig sind“, sagt Schmidt. „Da wurde geschlampert“, zürnt er. Noch drastischer formuliert es Andreas Hess vom Verein „Teltow gegen Fluglärm“, der sich gestern spontan gegründet hat. „Täuschen, Tricksen, Tarnen“, wirft er den Routen-Planern vor. Es sei schwer zu glauben, dass sich eine Fachbehörde, die sich mit nichts anderem beschäftige als dem Luftverkehr, die wichtige EU-Vorgabe übersehen haben soll.

Schlechte Informationspolitik, Sorge vor Fluglärm, Angst vor dem Wertverfall von Immobilien – es gibt eine Fülle von Motiven, die am Montag Hunderte Menschen dem Aufruf des Teltower Bürgermeisters folgen ließen, sich gegen die geplante Flugroute zu wehren. „Als wir 2007 nach Teltow gezogen sind, haben wir uns natürlich erkundigt, wie sehr Teltow vom Flugverkehr betroffen sein wird“, sagt etwa Hans-Christian Selinka. „Das war für uns ein wichtiges Kriterium bei der Wohnortwahl.“ Bürgermeister Schmidt versteht den aufkeimenden Zorn: „Dass sich über Nacht Grundstückswerte halbieren, kann nicht sein.“ Sein Stahnsdorfer Amtskollege Bernd Albers (Bürger für Bürger) sekundiert: „Es kann nicht sein, dass ein Flughafen außerhalb einer Million-Metropole gebaut wird und die Flugzeuge dann doch fliegen, wo die meisten Menschen wohnen.“

Mit Unterschriftenlisten sollte die Bevölkerung fordern, die Pläne zu überdenken, so Schmidt. „Von der Landesregierung erwarten wir, dass sie uns unterstützt und dem Schutz der Bürger Vorrang gibt.“ Ans Innenministerium haben er und seine Amtskollegen aus Stahnsdorf und Kleinmachnow geschrieben, um die Modalitäten für die Aufnahme in die Fluglärmkommission zu klären. In der sind neben Behörden auch Kommunen vertreten, die durch ihre Flughafennähe beeinflusst sind. Routenmodelle werden hier abgewogen, beschlossen werden sie letztlich vom Bundesamt für Flugsicherung.

Rückendeckung für die Region gab es gestern von der parlamentarischen Bundesumweltstaatssekretärin Katherina Reiche (CDU): „Ich verlange, dass die Routen, die im Planfeststellungsbeschluss gelten, eingehalten werden“, sagte Reiche der dpa. „Die Bürger müssen sich auf Entscheidungen verlassen können.“ Das hatte auch Thomas Czogalla vom neuen Anti-Lärm-Verein getan: „Immerhin war der Planfestellungsbeschluss hart erkämpft“ – nicht zuletzt wegen darin an den Flugrouten festgelegten Lärmschutzzonen, die Grundlage für ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes waren. „Ein Trost, vielleicht auch Hoffnung, dass sich offenbar auch das Gericht hinter die Fichte führen ließ“, heißt es auf der Vereinsseite teltowgegenfluglaerm.de. Die Spitze des Bundesverkehrsministeriums soll inzwischen in der Angelegenheit mit der Flugsicherung verhandeln. (mit hkx)

Auch in Stahnsdorf wird zur Gründung einer Lärm-Initiative aufgerufen, Freitag 18 Uhr, Gemeindezentrum Annastraße.