PNN 03.06.10

 

„Klein-Moskau“ in Gefahr

Wo seit vielen Jahren Häusern stehen, dürfen nur Kleingärten und Lauben sein (03.06.10)

Kleinmachnow – Die Bewohner „Klein Moskaus“ sind verunsichert. Seit Jahren leben sie in ihren Häuschen im Süden Kleinmachnows. Jetzt droht vielen der Zwangsumzug, denn wo ihre Häuser stehen, dürfte es eigentlich nur Datschen und Kleingärten geben. Die ersten 20 Anwohner haben bereits Post von der Bauaufsicht des Landkreises bekommen – jeder Dritte in der Siedlung. Der Vorwurf: Den Bewohnern fehlten Baugenehmigungen für ihre Häuser, Holzschuppen, Unterstände oder Gartentore.

Das Gebiet am Rande des Teltowkanals ist im Flächennutzungsplan des Rathauses als „Gartenanlage“ deklariert. Beim Rundgang durch die Siedlung am Ringweg ist von einer Kleingartensparte allerdings wenig zu merken: Hier haben sich Kleinmachnower in mehrstöckigen Häusern ein Zuhause geschaffen – teilweise schon seit Jahrzehnten. „Wir sind Grundstückseigentümer und sollen jetzt eine Kleingartensparte daraus machen? Das ist eine Enteignung“, sagt Holger Sohre, der sich mit den Betroffenen zu einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen hat. „Wir werden behandelt wie Kriminelle“, sagt Sohre, der mit seinen Sorgen nicht allein ist.

„Das versteht niemand“, klagt auch Niels Freitag. Rechts und links von seinem zweistöckigen Haus haben Nachbarn gebaut. Die Bauten sind gepflegt, die Dächer neu gedeckt. Nur Freitags Haus droht der Zerfall. Ihm wurde der Neubau auf alten Fundamenten untersagt. Außerdem war der Bauaufsicht eine kleine Hütte auf Freitags Grundstück aufgefallen – in normalen Baugebieten wäre sie kein Problem. In „Klein-Moskau“ ist das Holzhaus ein Schwarzbau, sagt Freitag. Mit dem kleinen blauen Schuppen sei eine „Splittersiedlung“ zu befürchten, habe die Bauaufsicht mitgeteilt. „Klein-Moskau ist längst eine Siedlung“, sagt Freitag.

Schon nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Gebiet von einer Genossenschaft parzelliert und die kleinen Grundstücke zu erschwinglichen Preisen an vorwiegend kommunistische Arbeiter verkauft, daher wohl der Name. Seit 1926 wurde hier gebaut, so auch auf dem Grundstück von Brigitte Kunisch: Seit 1973 wohnt sie in „Klein-Moskau“. Ihr weiß gestrichener Flachbau mit Wintergarten ist herrlich gelegen, in Sichtweite des Teltowkanals. Ob der Bau rechtmäßig ist, weiß sie nicht. „Soll ich jetzt unter der Brücke schlafen?“, fragt sie. Brigitte Kunisch musste wie viele andere in der Siedlung eine neue Baugenehmigung für ihr Häuschen einreichen.

Aus Sicht der Bauaufsichtsbehörde ist das derzeit die einzige Möglichkeit, um einen möglichen Zwangsauszug aus dem Weg zu gehen. „Wird eine Baugenehmigung eingereicht, wird das Verfahren gestoppt“, erklärte die zuständige Mitarbeiterin der Bauaufsicht, Simone Lierka, den PNN. Jeder Einzelfall werde geprüft. Es gebe Lösungen, aber: „Das Gebiet ist sehr problematisch“, sagte Lierka. Die Bauaufsicht müsse den Flächennutzungsplan der Gemeinde umsetzen. Den Konflikt lösen könne nur die Gemeinde, wenn das Planwerk verändert werde.

Im Kleinmachnower Rathaus ist das Problem auf offene Ohren gestoßen: „Wir wollen uns planungsrechtlich damit beschäftigen“, sagte Bauamtsmitarbeiter Jörg Ernsting. Am 7. Juli soll das Thema im Bauausschuss diskutiert werden.

Das ist dringend nötig, findet der „Klein-Moskauer“ Niels Freitag. „Ich möchte den Gemeindevertreter erleben, der aus seinem Haus und Hof eine Kleingartensparte macht.“ Tobias Reichelt