PNN 13.01.09
Unterwegs mit Harald Kretzschmar und Ingo Saupe vom Heimatverein
Kleinmachnow – Zu
ehemaligen Wohnorten prominenter Kleinmachnower führte der erste Spaziergang
des örtlichen Heimatvereins im neuen Jahr, sachkundig geleitet von Harald
Kretzschmar und Ingo Saupe. Einer der bekanntesten Einwohner war Ernst Lemmer,
vor 1933 linksliberaler Reichstagsabgeordneter, nach 1945 Mitbegründer der CDU,
für die er in den Potsdamer Landtag einzog. Kurz zuvor war er von der
sowjetischen Besatzungsmacht zum Bürgermeister ernannt worden.
Seinerzeit lief ein solcher Amtsantritt höchst unkonventionell ab. So stand
eines Tages im Mai 1945 vor dem Wohnhaus Hohe Kiefer 13 ein sowjetischer
Offizier, der Lemmer kurz und knapp mitteilte: „Du, Bürgermeister!“ Manche
Erleichterungen verdankten die Kleinmachnower fortan Lemmers Einfluss, doch
schon vier Jahre später wurde es für den Unangepassten zu gefährlich im Ort und
er siedelte im Februar 1949 nach Westberlin über. Später wurde er
Bundesminister in den Kabinetten Konrad Adenauers und Ludwig Erhards. Ganz in
der Nähe, im Haus Hohe Kiefer 6, wohnte der Schriftsteller Hans Klawitter. Er
ist einer von den prominenten Kleinmachnowern, deren Namen noch fehlen im jüngst
erschienenen Buch „Paradies der Begegnungen“ von Harald Kretzschmar. (PNN
berichteten).
Auch über den Bildhauer Paul Gruson,
zuletzt wohnhaft im Rosenhag 4, erfährt der Leser dort nur wenig. Der Sohn
eines Stahlunternehmers war aufgrund einer jüdischen Großmutter in der Nazizeit
sehr gefährdet. Ob er deshalb in den Anfangsjahren die Flucht nach vorn antrat
und eine Horst-Wessel-Büste modellierte, bleibt Spekulation. Dass es im
Künstlerort Kleinmachnow noch manches zu entdecken gibt, machte der Rundgang deutlich,
und Autor Kretzschmar schließt deshalb eine Fortsetzung seiner literarischen
Porträt-Essays nicht aus. Denn auch unter den einstigen Gewerbetreibenden war
manches Talent wie beispielsweise Karl Hoyer, der die Eisdiele am Uhlenhorst
eröffnete und nebenbei Operettenlibretti schrieb. In der Nachbarschaft, im
Langendreesch 3, wohnte die Schauspielerin Helga Göring. Unweit davon, im
Uhlenhorst 6, lebte einst Karla Runkehl, die mit der Rolle der Aenne im
DEFA-Thälmann-Film Bekanntheit erlangte. Doch das hoffnungsvolle Talent wurde
in den Jahren danach allmählich vergessen.
Im Langendreesch 5 B überstand der einstige preußische Kultusminister Adolf
Grimme die Nazizeit, bis er 1942 als Mitglied der Widerstandsgruppe „Rote
Kapelle“ verhaftet wurde. Ab dem Jahr 1948, leitete Grimme den neu gegründeten
Nordwestdeutschen Rundfunk Hamburg und Köln als dessen Generaldirektor bis zum
Jahr 1956. Im Jahr 1961 wurde vom deutschen Volkshochschulverband erstmals der
Adolf-Grimme-Preis für besonders gute Fernsehsendungen vergeben.
Der Rundgang führte auch zum Düppelteich, an dessen Ufer noch vor Jahren die
Plastik „Die Badende“ auf einem Sockel stand, bis sie von einigen Vandalen zu
sehr belästigt wurde und das Quartier wechselte. Heute steht das Werk des
Kleinmachnower Bildhauers Ferdinand Lepcke auf dem Hof der Eigenherd-Schule.
Doch die Schöne soll nun auf Vorschlag des Heimatvereines einen
repräsentativeren Standort erhalten. „Auf dem Rathausmarkt, neben dem Brunnen“,
so Ingo Saupe, „wäre ein guter Platz für Phryne“. Modell für die Badende soll
einst um 1900 die Haushälterin der Gebrüder Lepcke gestanden haben, merkte
Kretzschmar an. Nach dem Rundgang war klar: fast in jeder Straße Kleinmachnows
wohnten einst mindestens zwei Prominente. Somit ist für die Forschungsarbeit
über das Kulturbiotop Kleinmachnow noch kein Ende abzusehen. Kirsten Graulich