PNN 11.10.08
Stahnsdorfs Bürgermeister Bernd Albers nach 100 Tagen im Amt zum Klima im Rathaus, seiner neuen Hausmacht und der Zukunft der S-Bahn
100 Tage sind
in der Politik die Frist für ein erstes Resümee. Am Sonntag haben Sie diese
erreicht. Was schafft man in dieser Zeit als Stahnsdorfer Bürgermeister?
Als Verwaltungschef habe ich Wert darauf gelegt, meine Mitarbeiter
persönlich kennenzulernen. Mit jedem der 48 Mitarbeiter habe ich mich eine
Stunde unterhalten. Ein richtiges Wir-Gefühl der Verwaltung habe ich nach
meinem Amtsantritt vermisst. Da waren die Gespräche der erste Schritt. Nun will
ich mit den Kita- und Hortmitarbeitern reden, auch weil ich die Öffnungszeiten
nicht mehr für zeitgemäß halte. In der Kita Mäuseburg prüfen wir, eine
Halbtagsstelle einzurichten, damit die Kita länger aufbleiben kann. Da bin ich
dabei, so wie es mit den neuen Öffnungszeiten des Einwohnermeldeamtes bereits
geschehen ist. Im Dezember wird dann der Gemeindehaushalt so weit sein. Das ist
für mich und auch die neue Kämmerin der erste Haushalt, den wir aufgestellt
haben.
Seit der Kommunalwahl hat sich das
politische Kräfteverhältnis in Stahnsdorf geändert. Ihre Wählergruppe hat
gewonnen. Eine „Hausmacht“ haben Sie vorher nicht vermisst, was ändert sich nun?
Ich merke, dass viele Stahnsdorfer ganz große Hoffnungen mit meiner Person
verbunden haben. Sie wünschen sich, dass ich die Dinge angehe, sie erwarten
viel von mir. Vor diesem Hintergrund bekommt der Wahlerfolg eine zusätzliche
Bedeutung. Jetzt haben wir dieses tolle Ergebnis eingefahren. Das ist eine
große Verpflichtung. Viele in der Wählergruppe haben sich gedanklich in der
Opposition gesehen – haben vorher gesagt, sie machen das, um frischen Wind in
die Gemeinde zu bringen. Jetzt auf einmal haben wir Gestaltungsspielräume. Und
zu Recht erwarten die Stahnsdorfer, dass wir die nutzen. Jetzt habe ich als
Bürgermeister nicht nur Leute um mich, mit denen ich mich austauschen, sondern
mit denen ich meine Ziele umsetzen kann. Die Wählergruppe muss jetzt nicht nur
Vorschläge machen, sondern in dieser neuen Stärke auch Mehrheiten dafür suchen.
Das ist eine neue Qualität und das wird auch ein gewöhnungsbedürftiger Prozess
für die Wählergruppe werden.
Für was steht „Bürger für Bürger“? Eine politische Richtung oder ist sie
Auffangbecken für Einzelinteressen, die Ihnen jetzt die Arbeit erschweren
könnten?
Bürger für Bürger steht nicht für Einzelinteressen. Ein Grundrichtung habe ich
bereits mit meinem Wahlprogramm beschrieben: Wir stehen für maßvolles Bauen, für
eine Wahrung des gemeindlichen Ortscharakters. Wir wollen einer weitere
Verstädterung des Ortes nicht befördern.
Im Wahlkampf hat sich die Wählergruppe klar gegen die S-Bahn-Freihaltetrasse
positioniert. Trotzdem wurde hier ein Radweg beschlossen – unter Ihrer Führung.
Man muss sehen, dass es dort einen Prozess gab. Bevor ich Bürgermeister wurde,
ging man davon aus, dass man diese Trasse bewusst für die S-Bahn freihalten und
zunächst eine Busspur installieren wollte. Dann gab es Hinweise der Bürger. Die
haben in der Vergangenheit in Stahnsdorf oft nicht zu einer Veränderung
geführt. Hier schon. Die Verwaltung hat unter meiner Führung reagiert und
letztendlich dieses Vorhaben auf einen reinen Radweg mit Grünzug reduziert.
Damit erreichen wir verschiedene Ziele: Wir schaffen Schulwege und wollen so
auch touristisch einiges entwickeln. Früher war das Gewerbegebiet der Ort, an
dem man Rollerskates gefahren ist, das soll sich ändern. Eine S-Bahn nach
Stahnsdorf bleibt trotzdem mein Wunsch, auch wenn das frühestens in 10 oder 15
Jahren realistisch scheint.
Und was wird mit dem Gewerbegebiet?
Wir haben bereits Gespräche mit amerikanischen Investoren geführt, die aber
wohl an der derzeitigen Finanzsituation scheitern werden.
Die Frage Ihrer Stellvertretung ist noch ungeklärt. Bekommen Sie mit Ihrer
Hausmacht die Stelle nun nach Ihren Wünschen besetzt?
Davon gehe ich aus. Letztendlich kommt derzeit nur die Kämmerin in Frage. Die
ist sehr jung im Amt und stellt sich mit 26 Jahren gerade der anspruchsvollen
Aufgabe des doppischen Haushalts. Deshalb wird sie die Aufgabe zunächst ein
Jahr übernehmen, um zu sehen, ob es das richtige für sie ist.
Politisch scheint es zwischen Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf derzeit zu
haken.
Nein, der Eindruck ist falsch. Die Kommunikation mit den Bürgermeistern ist auf
zwischenmenschlichem Gebiet ideal. Wir haben einen sehr engen Kontakt,
besprechen die Dinge sehr offen.
Aber reicht die Stahnsdorfer Perspektive an die Nachbarn: Der Wille ist da,
aber das Geld leider nicht?
Man muss bedenken wir haben große Verpflichtungen mit unserer
Wohnungsbaugesellschaft. Herrn Blasig haben wir sogar die Bücher der WoGe
geöffnet. Er kennt auf den Cent unsere finanzielle Situation. Er weiß, was es
heißt, wenn wir unsere WoGe sanieren und behalten wollen. Das sind erhebliche
Verpflichtungen, die der Gemeinde an anderer Stelle fehlen. Dann ist es eben
nicht so einfach, eine große Turnhalle für die Region zu finanzieren.
Im Wahlkampf sind Sie Vater geworden, danach Bürgermeister. Welches Amt ist
anstrengender?
Das sind beides große Aufgaben. In der Tat ist es so, dass ich selten vor 20
Uhr zu Hause bin und auch am Wochenende viele Termine wahrnehme. Ich sehe meine
Tochter abends meist nur eine Stunde. Das führt auch bei der Mutter zu
Verdruss. Beides in Einklang zu bringen, das muss man ganz deutlich sagen, ist
mir bisher noch nicht gelungen. Im Amt merken sie auch, welche Erwartungen in
die Person des Bürgermeisters gesteckt werden. Das hat mich überrascht. Wenn
ich von meiner Frau per E-Mail einen Einkaufszettel bekomme und auf dem Heimweg
zum Supermarkt fahre, dann kommt man da rein , geht zielstrebig los, aber hat
noch drei Gespräche: Herr Bürgermeister, wo ich sie gerade zufällig treffe...
So wird aus schnell mal Brot, Butter, Milch holen eine Dreiviertelstunde. Das
ist noch neu für mich. Aber dann muss man sich auch immer wieder sagen, das
gehört dazu. Da muss man sich immer wieder in die Menschen hineinversetzen. Den
Bürgermeister treffen sie vielleicht nur einmal in acht Jahren.
Das Interview führte Tobias Reichelt