Potsdamer Neueste Nachrichten 25.02.08

 

Über die Geschichte stolpern

In Kleinmachnow sollen zehn große Messingwürfel an die Namen einstiger jüdischer Mitbürger erinnern

Von Kirsten Graulich

Kleinmachnow - Neun Pflastersteine werden am 23. März in Kleinmachnow verlegt. Jeder dieser zehn Zentimeter großen Betonwürfel mit Messinghaube soll die Erinnerung wach halten an einen jüdischen Mitbürger, der einst in dem Ort zu Hause war. Denn hier, am letzten freiwillig gewählten Wohnort, hatten sie noch Namen, bevor der tödliche Automatismus des Nationalsozialismus sie zu Nummern degradierte, ermordete und auszulöschen versuchte.

Mit dem Stolperstein-Projekt des Künstlers Günter Demnig wird diese Absicht der Nazis zunichte gemacht. Die Namen von 12 500 Opfern in 277 Orten der Bundesrepublik wurden bereits wieder ins Gedächtnis der Bevölkerung zurückgerufen. Seit über zwei Jahren forschen Mitglieder der Jungen Gemeinde der Evangelischen Kirche Kleinmachnow und des Heimatvereines nach Dokumenten und Hinweisen zu ehemaligen jüdischen Mitbürgern. Bisher konnten sie 237 Namen zusammentragen, ein großer Teil davon stammt aus einer Volkszählung von 1939, aus der seinerzeit eine so genannte „Judenliste“ herausgefiltert wurde. Es sei mühselig gewesen, zu den Namen auch etwas über das Schicksal ihrer Träger herauszufinden, berichtete Martin Bindemann kürzlich in einer Gesprächsrunde im Bürgersaal des Rathauses, zu der rund 30 Gäste gekommen waren. Denn die längst verblichenen Dokumente würden sich in verschiedenen Archiven befinden, so dass die Recherche häufig zum Puzzle geriet. Zudem sei das, was sie da im lapidarem Amtsdeutsch lasen, für die Recherchegruppe oftmals schwer zu ertragen gewesen, erzählt Bindemann.

In den Kopien der Akten finden sich auch die so genannten „Listen“, die Juden wenige Wochen vor ihrer Deportation erhielten. Das waren vorgedruckte Formulare, die bereits Wörter wie Teppiche, Bettlaken und Bezeichnungen für Möbel enthielten und davor jeweils ein Eintragungsfeld für die Anzahl. Manchmal war dahinter auch noch etwas Platz für detaillierte Beschreibungen der Besitztümer, eine besondere Rubrik war für Vermögen vorgesehen.

Mit den Listen wurde ein Informationsblatt verschickt, das den Opfern eröffnete: „Ihre Abwanderung ist für (Datum) behördlich angeordnet worden ... um 6 Uhr morgens wird Ihre Wohnung durch einen Beamten versiegelt werden. Sie müssen sich zu diesem Zeitpunkt bereithalten. Wohnungs- und Zimmerschlüssel sind den Beamten auszuhändigen ..."

Als die Kleinmachnowerin Margarete Eisermann, zuletzt wohnte sie in der Straße Brodberg 16, im Juni 1943 von Berlin nach Theresienstadt deportiert wurde, war sie 67 Jahre alt. Einen Monat zuvor war ihr arischer Mann gestorben, der Redakteur Carl Friedrich Eisermann, wahrscheinlich durch Selbstmord. Ihr Vermögen von rund 10 000 Reichsmark eignete sich die Oberfinanzdirektion an, ebenso bemächtigte sich das Deutsche Reich der anderen Besitztümer. Die Akten entlarven alle beteiligten Behörden als willige Werkzeuge zur Ausplünderung von Juden. Die Schreibtischtäter vergaßen auch nicht, das Todesdatum von Margarete Eisermann zu erfassen: 24.3.1944 in Theresienstadt.

Im Januar 1942 wurden bereits die Schwestern Mathilde und Thekla Moeller, beide wohnten Wendemarken 41, von Berlin nach Riga deportiert. Dorthin wurde nur wenige Tage zuvor Moritz Korn gebracht, der Auf der Drift 11 wohnte. Bekannt ist, dass die meisten Deportierten sofort nach ihrer Ankunft in Riga erschossen wurden. Im April 1942 werden Elisabeth Steffen, Weidenbusch 23a, und Jenny Korytowski, An der Stammbahn 141, nach Warschau deportiert. Auch Susanne Peuse, Zehlendorfer Damm 138, muss nach dem Tode ihres arischen Mannes ins Warschauer Ghetto, wo ständig Hunger herrschte, weil die deutschen Behörden für die Bewohner teilweise nur 200 Kalorien festgelegt hatten. Das Ghetto wird für die meisten zur Todesfalle, in der sie auf der Straße sterben, zugedeckt mit Zeitungspapier bevor man sie ins Massengrab schaffte. Georg Herzberg, Auf der Drift 12, wird zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er ein Verhältnis mit seiner „deutschblütigen Haushälterin“ hat. Er stirbt im November 1942 im Zuchthaus Brandenburg. Der SPD-Politiker Georg Gradnauer konnte bis 1944 im Haus Wendemarken 108 vor den Nazis untertauchen. 1944 nach Theresienstadt deportiert, gehörte er zu den wenigen Überlebenden und kehrte nach Kleinmachnow zurück. Doch nur ein Jahr später starb er an den Folgen der Haft.

Noch sind nicht alle Schicksale jüdischen Mitbürger Kleinmachnows geklärt, aber es gibt bereits Spenden für 19 Steine. „Die hätten wir am liebsten alle am gleichen Tage verlegt“, sagte Bindemann. Aber Gunter Demnig habe ihm erklärt, dass er das an einem Tage nicht schaffe. Es scheint, als ob der Künstler noch oft nach Kleinmachnow kommen wird.