Potsdamer Neueste Nachrichten 26.09.06
Stolpersteine
in Kleinmachnow
Ausstellung beschäftigt sich mit Judenverfolgung während der NS-Zeit im Ort
Kleinmachnow - Als der Kleinmachnower
Ingenieur Kurt Schmeidler 1940 beim Teltower Finanzamt eine
Unbedenklichkeitsbescheinigung beantragte, genügte das der Behörde, um die
Reichsfinanzverwaltung zu informieren. Auf einem Meldeformular ist in lapidarem
Amtsdeutsch unter der Rubrik Verdachtsgrund vermerkt: „Vorbereitende Maßnahmen
zur Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland, vermutlich Palästina.“
Das korrekt ausgefüllte Papier ist nur eines von vielen Dokumenten, das
Mitglieder der Jungen Gemeinde der Evangelischen Kirche Kleinmachnow und des
Heimatvereines recherchierten, um an die Lebensgeschichten jüdischer Mitbürger
zu erinnern. Bisher sind 237 Namen zusammengetragen worden, davon stammt ein
großer Teil aus einer sogenannten „Judenliste“, die 1939 im Rahmen einer
Volkszählung herausgefiltert wurde. Die Ausstellung, die am Sonntag nach dem
Gottesdienst in der Siemenskantine im Schwarzen Weg eröffnet wurde, sei „nur
ein Zwischenschritt“, verwies Diakon Martin Bindemann auf das Kunstprojekt
„Stolpersteine“, dem sich bereits 170 Kommunen angeschlossen haben und für das
nun auch Paten in Kleinmachnow gesucht werden, um Stolpersteine zu finanzieren.
Das sind zehn mal zehn Zentimeter große goldfarbene Steine mit Messingtafeln,
auf denen jeweils der Name eines Opfers eingraviert wird, um in unmittelbarer
Nähe seines letzten Wohnortes an die Nazi-Gräuel zu erinnern. Der Kölner
Künstler Gunter Demnig, der die Steine eigenhändig verlegen wird, will so den
Opfern wieder ein Stück Heimat zurückgeben. Für das Projekt, das an die Zeit
erinnert, in der auch das grüne Kleinmachnow einige braune Flecken bekam, hat
Bürgermeister Wolfgang Blasig die Schirmherrschaft übernommen.
Die 79-jährige Elisabeth
Wilhelm-Metzger war während der Ausstellungseröffnung eine der wenigen
Zeitzeugen. Extra aus Süddeutschland war sie angereist, um in den Namenslisten
nach alten Schulfreunden zu forschen. Überrascht war sie vor allem von der
großen Zahl jüdischer Mitbürger, „da ich in Kleinmachnow nie einen Gelben Stern
gesehen habe“. Dabei drohte ab 1941 bei Zuwiderhandlung gegen die
Kennzeichnungspflicht die Deportation ins KZ. Doch schon in den Jahren zuvor
wurden Häuser von Juden demoliert – wie das des Ehepaares Sara und Kurt
Sahlmann. Ihr Gesamtguthaben von 10 455,26 Reichsmark wurde als „dem Reich
verfallene Vermögenswerte“ beschlagnahmt, bevor man beide ins Ghetto abschob.
Auch Margarete Sara Eisermann verlor nach dem Tod ihres arischen Mannes ihr
Vermögen, bevor sie vom Berliner Judensammelhaus nach Theresienstadt deportiert
wurde. „Zugunsten des Deutschen Reiches" wurden auch Haus und Grundstücke
Drift 12 und Iltisfang 32 von dem 70-jährigen Apotheker Georg Herzberg
eingezogen. „Volks- und staatsfeindliche Bestrebungen“, lautete die Anklage
gegen Herzberg, der ein Verhältnis mit seiner „deutschblütigen Haushälterin“
hatte und demzufolge ein „Grundgesetz seines Gastlandes“ missachtet habe, was
mit zwei Jahren Zuchthaus bestraft wurde. Aus vielen Dokumenten der Ausstellung
wird ersichtlich, wie Finanzbehörden sich an der Ausplünderung von Juden
beteiligten und oftmals erste Auslöser einer späteren Deportation waren. Den
„Verwaltungsmassenmord“, wie die Schriftsstellerin Hannah Arendt den Holocaust
einmal nannte, bestätigen auch die Schicksale dieser Kleinmachnower. Zuerst mit
Tätigkeitsverboten und Einzug von Reisepässen wurden sie schrittweise mehr und
mehr entrechtet, mit Ausgangssperren und Führerscheinentzug. Für den
reibungslosen Ablauf sorgten kleine Handlanger in deutschen Ämtern. Kirsten
Graulich