Potsdamer Neueste Nachrichten 02.06.06

Wo Havel und Spree sich verbinden

Der Teltowkanal ist ein großartiges Erbe, mit dessen Pflege und Umgang man sich schwer tut

Als das Wasser der Havel und Spree sich vor 100 Jahren vereinte, war das nicht nur die Krönung eines aufwendigen Bauprojektes. Durch den Teltowkanal war eine Verbindung entstanden, die dem Schiffsverkehr zu mehr Tempo zwischen Elbe und Oder verhalf. Gemeinhin wird mit dem Bau des Teltowkanals auch der Beginn der Industrialisierung der Region Teltow verbunden.

Die Porzellanmanufaktur Conrad, Schomburg und Co. GmbH war 1908 eines der ersten Unternehmen, das sich am Kanalufer in Teltow ansiedelte. Auf dem gleichen Areal begann später die Firma „Drawolid“ mit der Herstellung elektronischer Bauelemente – der Grundstein einer jahrzehntelangen Industrieproduktion in Teltow, ein Markenzeichen, von dem die Stadt noch heute profitiert. Das Kraftwerk in Schönow, Hafenanlagen, Werften, das heutige moderne Holzkraftwerk in Rudow sind wirtschaftliche Begleiterscheinungen des Kanalbaus.

Doch der wirtschaftliche Aufschwung, den der Teltowkanal mit sich brachte, hat die Zeit nicht überdauert. Zu groß waren die Zäsuren des Krieges und der deutschen Teilung, zu dominant die Entwicklung anderer Transportwege. Vom Vermächtnis eines modernen Verkehrsweges, das die Erbauer der Wasserstraße hinterlassen haben, ist nicht mehr viel übrig. Wo sich einst Industrie ansiedelte, findet man heute Brachen. Von einer regen Schifffahrt kann nicht die Rede sein. Prognosen von jährlich zehn Millionen Tonnen, die 2015 über den Teltowkanal befördert werden und den Ausbau der Havel rechtfertigen sollen, gelten als überzogen und nicht belegt. Sie sind keine ernsthafte Basis für eine Milliarden-Investition für den Ausbau von Flüssen und massive Eingriffe in Natur und Landschaft. Doch steht im 100. Jahr seines Bestehens mehr denn je ein dickes Fragezeichen hinter der Zukunft des Kanals. Eine pulsierende Verkehrsader ist er seit langem nicht mehr und die Frage ist, ob darin überhaupt noch seine Bedeutung zu sehen ist. In Berlin hat man den Osthafen, lange Zeit wichtiger Fixpunkt am Teltowkanal, als Umschlagplatz aufgegeben, weil das perspektivische Transportaufkommen zu gering ist.

Doch längst wird in transeuropäischen Dimensionen und über die Grenzen Berlins hinaus gedacht. Polen, Osteuropa! Soll der Weg dorthin über den Teltowkanal führen? In seinem jetzigen Zustand ist er alles andere als eine moderne Wasserstraße und man muss entscheiden, ob und in welchem Umfang man ihm eine neue Qualität und Rationalität verleihen will.

Das bauliche Erbe, das den Generationen mit der Kleinmachnower Schleuse überlassen wurde, ist gerade in den vergangenen Jahren eher stiefmütterlich behandelt worden. Die Idee, die Nordkammer der Schleuse auf 190 Meter auszubauen, ist nicht nur wirtschaftlich ein äußerst fragwürdiges Unterfangen, sondern auch ein Frontalangriff auf ein Denkmal. Aber auch ohne den überdimensionierten Ausbau hat das Antlitz des Kleinmachnower Wahrzeichens gelitten. Die neue Schleusenbrücke ist zwar ein wichtiges Element im regionalen Verkehrsnetz, doch wirkt sie wie ein großer und schmerzlicher Kratzer auf dem ehrwürdigen Denkmalensemble. Völlig zurecht beklagt etwa der Autor Peter Hahn in dem jüngst erschienen Buch „Teltowkanal – Stationen·Wege·Geschichten“ die „kaum zu überbietende Einfallslosigkeit“ der Brücke. Zurecht wird die lapidare Rechtfertigung der mittelmärkischen Denkmalbehörde beklagt, dass „die technischen Komponenten der Anlage gegenüber dem heutigen naturnahen Zustand deutlich in den Vordergrund treten.“

Zu ihrem 100. Geburtstag präsentiert sich Schleuse in einem frischen Anstrich. Der Sanierungsbedarf und die geminderte Leistungsfähigkeit des Industriedenkmals lassen sich jedoch nicht vertuschen. So unstrittig die Ertüchtigung der Schleuse ist, so kontrovers wird gestritten, in welchem Umfang das geschehen soll. Die gleichen überholten Prognosen, die für den Ausbau des Teltowkanals herangezogen wurden, liegen auch dem Vorhaben zu Grunde, die Mittelkammer der Schleuse auf eine Länge von 190 Meter auszubauen. Hätte der Bund Geld, würden sich wohl schon längst die Kräne drehen am Kanal. Doch die leeren Staatskassen zwangen dazu, den Ausbau des Kanals für mindestens fünf Jahre zu stornieren. Die rechtliche Genehmigung, die Schleuse zu erweitern, ist hingegen erteilt, 2007 läuft der Planfeststellungsbeschluss aus. Dann müsste von vorn begonnen werden.

Mit Bedauern und auch Enttäuschung wird in Kleinmachnow, Stahnsdorf und Teltow registriert, dass im 100. Jahr ihres Bestehens klare Worte zur Zukunft von Schleuse und Kanal ausbleiben. Bund und Land, heißt es, befinden sich im Dialog. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es keinen neuen Informationsstand“, klang es in diesen Tagen aus dem Infrastrukturministerium. Doch Kleinmachnows Bürgermeister Wolfgang Blasig will endlich wissen, ob der Teltowkanal auf einen „Hauptsammler für Regen und Abwasser“ reduziert wird oder zu einer „ernst zu nehmenden Wasserstraße ertüchtigt werden soll“. Auch sein Stahnsdorfer Amtskollege Gerhard Enser wünscht dem Kanal „wieder eine sinnhafte Zweckbestimmung und der Schleusen einen Ausbaugrad, der diese Rolle auch unterstützt“. Jedoch demonstriert man nicht in allem Einigkeit: Während Blasig klar und deutlich eine Schleuse von 115 Meter Länge für ausreichend hält, mag sich Enser nicht festlegen. „Der Teltowkanal“, so der Stahnsdorfer Bürgermeister, „kann als Wasserweg der Binnenschifffahrt neue Bedeutung erfahren, wenn dessen Einbindung in die Transportketten des Güterverkehrs neue Qualität und Rationalität erfährt.“ Dabei wäre es „sträflich, sich auf eine Länge der Schleuse festzulegen, ohne die Nutzung des Kanals geklärt zu haben.“

Ohne Zweifel liegt eine Qualität des Teltowkanals im Reiz von Natur und Landschaft, in die der künstliche Wasserweg gebettet wurde. Schon vor 100 Jahren waren der Kanal und die Machnower Schleuse Ausflugsziel – sicherlich wegen der technischen Einzigartigkeit des Bauwerks, wohl aber auch wegen der landschaftlichen Idylle. Während die wirtschaftliche Bedeutung des Kanals nachgelassen hat, ist der Charme der Landschaft geblieben – zuweilen zwar unerkannt und vernachlässigt, aber als Potenzial vorhanden. Aktivitäten der Lokalen Agendabewegung und der Interessengemeinschaft „Kanalaue“ ist es zu verdanken, dass Uferzonen mit ihren Rad- und Wanderwegen stärker ins Bewusstsein rücken. Es ist ihr Verdienst, dass die Idee eines Regionalparks mit markanten Wegmarken entlang des Kanals inzwischen ein gewichtiges Argument ist, wenn man Aussagen zur Zukunft des Kanals fordert. Denn wie vor 100 Jahren hat der Teltowkanal eine enorme Bedeutung für die Entwicklung der Region – in wirtschaftlicher, städtebaulicher und touristischer Hinsicht.