Potsdamer Neueste Nachrichten 03.05.06

Mit Weitsicht am Teltowfließ

Ernst von Stubenrauch erkannte die Vorzüge eines Kanals und wusste in einem exellenten Vortrag den Kaiser zu überzeugen

Von Joachim Winde

Der am 2. Juni 1906 eingeweihte, aber erst seit dem 17. Dezember 1906 in seiner ganzen Länge befahrbare Teltowkanal ist Wasserstraße und Vorfluter zugleich. Um seine Geschichte zu verstehen, sollte man 150 Jahre zurückblicken.

In seinem 1854 erschienenen „Landbuch der Mark Brandenburg“ schrieb der Chronist Berghaus: „In dem Wiesenthale zwischen Klein Machnow und Kohlhasenbrück gibt es Torflager, welche früher sehr lebhaft ausgebeutet worden sind. Zur Erleichterung der Abfuhr des gewonnenen Torfs, mit dem hauptsächlich der Bedarf von Potsdam gedeckt wurde, der aber auch zum Teil Berlin versorgte, war das Teltefließ von Klein Machnow bis zur Mündung durch Anlage einer hölzernen Stauschleuse bei Kohlhasenbrück und durch Aufräumung und theilweise Erweiterung des Fließbettes zu einem Torf-Schiffahrtsgraben eingerichtet worden. Nutznießer der Telte Bäke als Wasserstraße waren auch die Dörfer Klein Machnow und Stansdorf, die diese Straße zur Abfuhr … namentlich des Holzes aus ihren Forsten sehr wohl gebrauchen könnten." Berghaus hätte 30 Jahre später außerdem davon berichten müssen, dass die Bäke in ihrer gesamten Länge als Folge der zunehmenden Abwässer ein fauliger, stinkender Fluss geworden war.

Den ersten Entwurf zum Bau eines allen Anforderungen entsprechenden großen Kanals legte 1861 Baurat Röder vor. Hierbei ging es in erster Linie um die Entlastung des starken Schiffsverkehrs in Berlin. Der Durchgangsverkehr zwischen Oder und Elbe sollte im Süden Berlins entlang verlaufen. Die Verbindung zwischen der Wendischen Spree und der Havel durch eine Wegverkürzung und die Auflösung der Schiffspulks vor den Schleusen am Mühlendamm und in Charlottenburg würde zu mehreren Tagen Zeitersparnis führen. Dieser Plan und auch seine 1874 von dem Landrat des Kreises Teltow veranlasste Überarbeitung wurde abgelehnt. Dies wiederfuhr auch dem Potsdamer Oberbaurat Hartwich, der ebenfalls 1874 den „Entwurf eines Südkanals“ vorgelegt hatte. Die Regierungsstellen in Potsdam bestritten die Notwendigkeit des Kanals als Wasserstraße und Vorfluter, sie erklärten ihn für nicht finanzierbar. Ebenso Entwürfe von 1882 und 1889. Die Vorteile eines solchen Jahrhundertbauwerks erkannte jedoch der am 18. August 1885 ernannte junge Landrat des Kreises Teltow, Ernst Stubenrauch.

Am 19. Juli 1853 als Sohn eines Kreisrichters in Sagan/Schlesien geboren, machte Stubenrauch 1870 sein Abitur, studierte Jura, Kameralia und Volkswirtschaft, wurde Kammergerichts-Referendar und 1880 Regierungsassessor in Potsdam. Der tüchtige und durchsetzungsstarke Stubenrauch erhielt am 1. Januar 1900 von Kaiser Wilhelm II. den erblichen Adelstitel.

Ernst Stubenrauch machte Teltow zum Musterkreis Preußens, der sechs Städte, 130 Dörfer und 52 Gutsbezirke zählte. Er fand dabei die Unterstützung durch den Potsdamer Regierungspräsidenten Prinz Handjery, seines Amtsvorgängers. 1891 weihte Stubenrauch in Gegenwart des Kaisers für den ursprünglich bis Charlottenburg und dem Müggelsee reichenden Kreis Teltow das neue Kreishaus in der Berliner Viktoriastraße 18 am Potsdamer Bahnhof ein. Die sich abzeichnende verstärkte Ansiedlung der Industrie und des Handels und den Bau von Verkehrseinrichtungen in Berlin wollte der Landrat mit Hilfe eines Kanals auf den Norden des Kreises umlenken. Stubenrauch erhielt durch seinen Stellvertreter, dem Rittergutsbesitzer und Jurist Gottfried Badewitz aus Siethen, viel Unterstützung. Um die Argumente der Kanalgegner zu entkräften, benannte er die Zielstellungen in umgekehrter Reihenfolge: Es ging erstens um die deutliche Verbesserung der Entwässerungsverhältnisse im Süden Berlins, zweitens die Regulierung der Bäke (die für 250 000 Einwohner die Abwässer verkraften musste) einschließlich des Baus eines Spülkanals von der Oberspree aus, und drittens um das Projekt eines Schifffahrtskanals zwischen Spree und Havel.

Landrat Stubenrauch wusste in einem kurzen, aber exzellenten Vortrag gegen die Meinung des Land-, Wirtschafts- und des Finanzministers den Kaiser von diesem Plan zu überzeugen. Daraufhin wurden die königlichen Bauräte Havestadt und Contag mit der Ausarbeitung eines neuen Projektes beauftragt. Nach zwei Jahren, am 15. April 1898 lag dieses vor. Baurat Havestadt gab das Projekt wenige Tage darauf, am 29. April auf der Sitzung des „Central-Vereins für die Hebung der deutschen Fluss- und Kanalschiffahrt zu Berlin“ bekannt. Der Regierungspräsident, in Vertretung von Patow, in Potsdam, erteilte schließlich am 31. Oktober 1899 mit Zustimmung des Ministers den öffentlichen Arbeiten die landespolizeiliche Baugenehmigung. Darin stand: „Der Bau, der Betrieb und die Unterhaltung des Kanals geschieht auf Kosten des Kreises unter der Aufsicht des Regierungs-präsidenten.“

Veranschlagt waren 25 Millionen Mark. Der Kreistag bewilligte die Finanzierung am 5. März 1900. Am 22. Dezember desselben Jahres leistete der Kronprinz am westlichen Ende des zukünftigen Teltow-Kanals im Park von Babelsberg bei Klein Glienicke den symbolischen ersten Spatenstich mit den Worten: „Seiner Majestät zur Ehre, der Mark zum Nutzen.“

Der Autor: Joachim Winde lebt in Stahnsdorf und ist Diplom-Ingenieur für Schifffahrt. Er arbeitete seit 1960 im Bereich der deutschen Binnenschifffahrt und als Dozent für Speditionsbetriebslehre.