Potsdamer Neueste Nachrichten 26.04.06


Mit dem Recht auf freie Rede

Von Peter Könnicke

Kleinmachnow - Mitunter wird der überschaubaren politischen Familie in Kleinmachnow vorgeworfen, „Little Bundestag“ zu spielen. Jetzt wird sogar das juristische Scharmützel, das sich jüngst FDP-Chef Guido Westerwelle und Alt-Kanzler Gerhard Schröder lieferten, auf die Kleinmachnower Bühne projiziert. Westerwelle fand problematisch, „dass Schröder als Bundeskanzler einer Firma einen Auftrag gegeben hat und dann wenige Wochen nach Amtsübergabe in die Dienste eben jener Firma tritt.“ Die kritische Äußerung zum Engagement von Altkanzler Schröder beim deutsch-russischen Ostsee-Pipeline-Konsortium landete vorm Hamburger Landgericht. Dieses wertete Westerwelles Vorwurf nicht als freie Meinungsäußerung, sondern als unzulässige Tatsachenbehauptung.

Für Rechtsanwalt Claus-Hinrich Clausen hat dieser Fall Vorbildcharakter. Denn auch der Kleinmachnower Gemeindevertreter John Banhart habe eine unzulässige Tatsachenbehauptung aufgestellt, als er auf der Internetseite der Wählerinitiative „WIR in Kleinmachnow“ die gemeindeeigene Planungs- und Entwicklungsgesellschaft (P&E) eine „Briefkastenfirma des Bürgermeisters“ nannte. Clausen vertritt das Gemeindeunternehmen, dessen Geschäftsführer im vergangenen Jahr zunächst eine einstweilige Verfügung erwirkte, die es Banhart verbot, seine Äußerung zu wiederholen. Der Gemeindevertreter sah sich daraufhin in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung beschnitten und klagte vor dem Potsdamer Landgericht – wo er verlor. Allerdings vermochte im vergangenen September der damals zuständige Richter durchaus Aspekte zu erkennen, „die es verständlich erscheinen lassen“, dass Banhart die P&E eine Briefkastenfirma nennt. Eine anderes Gericht könnte daher anders urteilen, so der etwas unschlüssige Richter. Derart ermutigt legte Banhart gegen das Urteil Berufung ein und zog zur zweiten Instanz vor das Oberlandesgericht (OLG). Offenbar mit Erfolg. Denn der Senat des OLG „neigt dazu“, die Worte als „geschützte Meinungsäußerung“ anzusehen. In der mündlichen Verhandlung am Montag wertete Richterin Feles Banharts Äußerung als „insgesamt scharfe Kritik an der Konstruktion der P&E und der politischen Handhabe mit dem Unternehmen“.

Die P&E ist eine hundertprozentige Tochter der Gemeinde und seit Jahren für alle wesentlichen Entwicklungsaktivitäten und Bauprojekte der Gemeinde zuständig. Jedoch gibt sie sämtliche von der Gemeinde übertragenen Aufgaben sofort an eine zweite Gesellschaft weiter, die Dreilinden-Entwicklungs GmbH (DEG), mit der die P&E einen unbefristeten Vertrag hat. Hinter der DEG stehen je zur Hälfte die Gemeinde und eine Tochter des Kondor-Wessels-Konzerns, der in Kleinmachnow millionenschwere Projekte realisiert – u.a. das Ortszentrum. Mitarbeiter hat die P&E keine, lediglich einen Geschäftsführer. Einen eigenen Firmensitz gibt es nicht, die P&E nutzt lediglich zeitweise das Büro sowie den Telefonanschluss der DEG. Wegen all dieser Umstände findet die Begriffswahl der Briefkastenfirma eine „genügende tatsächliche Grundlage“, so die Würdigung des Gerichts.

Schon vor dem Potsdamer Landgericht wollte Banhart keineswegs bestreiten, dass die P&E formal gesehen eine „korrekt operierende Firma“ ist. Er zweifle lediglich an Sinn und Notwendigkeit der Gesellschaft. Die Brandenburger Richter glauben ihm das: Es sei nicht erkennbar, dass Banhart die P&E als unlautere, betrügerische oder kriminelle Scheinfirma diffamieren wollte. Der tatsächliche Gehalt seiner Wortwahl „dürfte allenfalls darin gesehen werden“, dass die P&E „keine nennenswerte eigene Geschäftstätigkeit entfaltet“. Im politischen Meinungskampf, wo der Spielraum für das Recht auf freie Rede äußerst groß ist, habe Banhart eine im Rahmen des Erlaubten kritische Wertung vorgenommen.

Auch dass Banhart einen engen Zusammenhang zwischen P&E und Bürgermeister Wolfgang Blasig herstellt und von „seiner Firma“ spricht, hält das OLG für legitim. Die Wendung „seine Firma“ begründen der WIR-Abgeordnete und sein Anwalt Ermbrecht Rindtorff mit der „beherrschenden Stellung des Bürgermeisters“. Schließlich sei dieser organischer Vertreter und Repräsentant der Gemeinde, diese wiederum ist Alleingesellschaftlerin der P&E, womit der Bürgermeister wiederum zum Dienstvorgesetzten des P&E-Geschäftsführers wird. Mit der Wendung „seiner“ beurteilt Banhart lediglich die „realen Machtverhältnisse“, so Rindtorffs Argumentation, der auch das Gericht folgt. Selbst P&E-Anwalt Clausen wollte die „beherrschende Stellung“ nicht bestreiten. Doch sei dann die Gemeindetochter das „falsche Opfer“, befand der Jurist. „Greifen Sie den Bürgermeister und nicht die P&E an“, so seine Empfehlung für Banhart.

Am Montag erklärte Richterin Feles zunächst nur die Berufung für zulässig, ihren endgültigen Urteilsspruch kündigte sie für morgen an. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie das Urteil des Potsdamer Landgerichts aufheben und Banharts Äußerung für zulässig erklären wird. „Für die politische Diskussion ist das ein reinigendes und wichtiges Urteil“, befand Rechtsanwalt Rindtorff, der – selbst Kleinmachnower – aufmerksam die Aktivitäten der P&E wie auch die politische Kultur im Ort verfolge.

Banhart, der als Ortsparlamentarier zuweilen scharfzüngig argumentiert, sieht sich durch die richterliche Position gestärkt. „Sonst könnte man politisch nicht mehr arbeiten.“ Er sei ins Ortsparlament mit einem Programm gewählt worden, das u.a. die kritische Betrachtung der gemeindlichen Vermögensverhältnisse zum Inhalt hat. Würde es verboten sein, dies ohne die mitunter nötige Schärfe und Pointierung zu tun, könne er seinen Wählerauftrag nicht erfüllen.