Potsdamer Neueste Nachrichten 27.09.05

Seniorenbetreuung mit Herz und Kompetenz

Die Lücke zwischen professioneller Pflege und dem, was die Angehörigen alter Menschen leisten, möchte Sabine Müller schließen

Kleinmachnow - „Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren!", so steht es im Alten Testament. In vielen Kulturen steht ein hohes Lebensalter seit jeher für Lebenserfahrung, innere Reife und Geduld, denen jüngere Menschen mit Achtung begegnen sollten und von denen zu lernen sich lohnt.

Diese Einstellung ist auch Seniorenbetreuerin Sabine Müller aus Kleinmachnow eigen. Die 45-Jährige hat sich im August selbständig gemacht. Ihr Konzept: individuelle Seniorenbetreuung mit Herz und Kompetenz.

Waren die Alten früher für ihren Rat geachtet, gelten ihr Wissen und ihre Erfahrung in der schnelllebigen heutigen Zeit oftmals als rückständig und unbrauchbar. Sabine Müller kennt die Problematik gut: „Viele ältere Mitmenschen kommen mit praktischen Neuerungen des Alltags, wie einem Überweisungsterminal der Bank oder dem PC nicht zurecht. Dabei übersieht man leicht, dass ein Großteil ihrer erworbenen Lebenserfahrung einfach zeitlos ist.“

Nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern auch innerhalb der Familien werden ältere Menschen oft unabsichtlich an den Rand gedrängt. Sabine Müller sieht den Grund dafür in der Mehrfachbeanspruchung, die heute auf vielen jungen Menschen lastet: „Berufstätige sind heutzutage oft enormem Stress ausgesetzt, so dass dann schlicht die Zeit und manchmal auch die Kraft fehlt, um in Ruhe zuzuhören.“ Die gelernte Notar- und Rechtsanwaltsgehilfin hat vor einigen Jahren selbst erfahren müssen, wie schwer der Spagat zwischen Beruf, Kind und der Pflege ihrer schwer erkrankten Mutter war. „Damals hätte ich mir mehr Unterstützung gewünscht." In Deutschland gebe es zwar ein gutes institutionalisiertes Pflegesystem, aber es bleibe wenig Raum für zwischenmenschliche Unterstützung, erzählt die Seniorenbetreuerin.

Es ist Sabine Müller nicht nur ein geschäftliches, sondern auch ein persönliches Anliegen, mit alten Menschen zu arbeiten. Das Vertrauen, dass sie ausstrahlt, ist das Fundament ihrer Arbeit, zu der auch der Schriftverkehr mit Behörden zählt. „Wenn ich im Namen eines älteren Menschen einen Pflegestufenantrag stelle, hängt vieles von meiner Arbeit ab. Dieser Verantwortung bin ich mir bewusst", sagt sie.

Vor fünf Jahren zog die Berlinerin nach Kleinmachnow. Mit dem beruflichen Neuanfang habe sie das Gefühl, eine für die Gesellschaft sinnvolle Aufgabe zu erfüllen. Da ihr sehr an Seriosität gelegen ist, kommt Briefkastenwerbung nicht in Frage. Sie wirbt gezielt in Arztpraxen und Begegnungsstätten um neue Kunden und schon so mancher Arzt, der mit den oft schwierigen Lebenssituationen alter Menschen vertraut ist, habe gesagt: „Sie hat der Himmel geschickt.“

Bei allem persönlichen Engagement ist es natürlich auch Sinn und Zweck ihrer Arbeit, davon leben zu können. Der reguläre Stundensatz beträgt 15 Euro, ist aber verhandelbar. „Ich gehöre nicht zu den Menschen, die auf die Uhr schauen und ein ernstes Gespräch beenden, nur weil die Zeit um ist. Und bei Senioren mit kleiner Rente ist auch ein finanzielles Entgegenkommen möglich.“

Derzeit betreut Sabine Müller zehn Senioren im Alter von 66 bis 85 Jahren. Während ihrer ein- bis zweistündigen Besuche wird die Zeit ganz unterschiedlich genutzt. „Mit einigen gehe ich spazieren oder einkaufen. Anderen lese ich aus der Zeitung oder einem Buch vor. Oft besteht auch einfach der Wunsch nach einem Gespräch.“

Am Wochenende verbringt Sabine Müller gern Zeit mit ihrer fast 17- jährigen Tochter, liest ein gutes Buch oder widmet sich ihrem Garten. Auch Yoga hilft ihr beim Entspannen, denn manchmal gehen ihr die einzelnen Schicksale unter die Haut. So hat sich vor kurzem ein alter Herr verzweifelt an sie gewendet, dessen Pflegestufenantrag von der kassenärztlichen Gutachterin mit der Begründung abgelehnt worden war, er sei ja schließlich noch fit genug gewesen, um ihr Kaffee und Kuchen anzubieten. Während sie davon erzählt, blitzt in ihren Augen ein wenig Kampfgeist auf: „Viele ältere Menschen wagen es nicht, die Entscheidung einer Behörde in Frage zu stellen und kommen dadurch nicht zu ihrem Recht. Aber dafür haben sie ja dann mich. Schließlich kenne ich mich als ehemalige Rechtsanwaltsgehilfin in diesen Dingen ein wenig aus.“ J. Schoenherr