Potsdamer Neueste Nachrichten 20.07.05

Aufruhr in der Sommerfeld-Siedlung

Jüngste Urteile im Restitutionsstreit um ehemals jüdisches Eigentum verunsichern die Anwohner – ohne Grund, sagt das Gericht

Von Peter Könnicke

Kleinmachnow - Manch einer kam sich vor wie auf einer Werbeveranstaltung, als Rechtsanwalt Thorsten Purps Anfang Juli zu einer Podiumsdiskussion nach Potsdam einlud. Im Streit um Rückübertragung in der Kleinmachnower Sommerfeldsiedlung – einem der größten Prozesse um ehemals jüdisches Eigentum in Ostdeutschland – hätten sich in diesem Frühjahr durch Musterverfahren neue Erkenntnisse ergeben. Der renommierte Potsdamer Anwalt ergriff die Initiative, um aufzuklären. Und so vernahmen die ohnehin schon seit Jahren verunsicherten Bewohner der Siedlung, dass zuletzt „durchgängig“ Ansprüche auf Rückübertragung von Grundstücken in ihrem Viertel entschieden worden seien. Doch, so Purps, gebe es Chancen zur Gegenwehr. So manch einer der Zuhörer war hin- und her gerissen zwischen dem Eindruck des billigen Klientenfangs oder ernst gemeinter Hilfestellung.

Am Potsdamer Verwaltungsgericht, dessen 1. Kammer die Sommerfeld-Akte behandelt, wird wenig Grund für Aufregung gesehen. Denn für das Gros der Grundstücke, um die es in dem Rechtsstreit geht, ist noch gar kein Urteil gesprochen. Ein einziger Fall war im vergangenen Dezember kurz davor, am Bundesverwaltungsgericht entschieden zu werden. Doch einigten sich vor dem finalen Richterspruch die Grundstücksnutzerin und der Geschäftsmann Christian Meyer.

Der Berliner Meyer ist in der Sommerfeld-Siedlung kein Unbekannter. 1997 übernahm er von der Jewish Claims Conference (JCC) die Ansprüche auf das einstige Betriebsvermögen der Siedlungsgesellschaft Kleinmachnow mbH, die dem jüdischen Bauunternehmer Adolf Sommerfeld gehörte. Der JCC erschien eine Durchsetzung der Ansprüche fraglich, während Meyer auf eine erfolgreiche Rückübertragung von mehreren Hundert Grundstücken spekuliert. Allerdings verhinderte er mit dem Vergleich in letzter Minute ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts mit Signalkraft: Denn die Leipziger Richter waren geneigt, Meyers Restitutionsansprüche abzulehnen.

Somit ist nach wie vor die Frage unbeantwortet, was mit den Grundstücken passiert, die von der ehemaligen Sommerfeld’schen Siedlungsfirma verkauft wurden, nachdem diese arisiert worden war. Unter dem Verfolgungsdruck der Nationalsozialisten ging das Unternehmen von Sommerfeld im April 1933 zunächst faktisch, später auch de jure in eine Gesellschaft des Dritten Reiches über. Nun unterscheidet das deutsche Vermögensrecht, ob ein Unternehmen oder eine Privatperson geschädigt wurde. Das Gesetz schließt einen Anspruch auf Rückübertragung aus für Siedlungsfirmen, deren Geschäftszweck es bis zum 8. Mai 1945 war, Grundstücke zu verkaufen. „Bei den allermeisten Fällen von Herrn Meyer geht es darum, dass Sommerfeld die Gemeinnützige Siedlungs-Gesellschaft m.b.H. Kleinmachnow entzogen wurde“, betont Gerichtssprecher Jes Möller. Dabei „ist in den allermeisten Verfahren die spannende Frage, was mit den Grundstücken geschieht, die dieses Unternehmen weiterveräußert hat, nachdem Sommerfeld in seiner Firma nichts mehr zu sagen hatte und faktisch enteignet worden war“. Einfach gefragt: Müssen diese Grundstücke wieder in den großen Topf des weggenommenen Unternehmens zurück? Die Potsdamer Richter haben bislang auf die Schicksalsfrage keine Antwort gegeben, somit gibt es keinen Grund zur Panik.

Rechtsanwalt Thorsten Purps, einer der profiliertesten Vermögensrechtler des Landes, sieht dennoch keinen Grund für Entspannung. Denn neben den drei Verfahren im Frühjahr, in denen die JCC als Klägerin auftrat und Erfolg hatte, haben in einem Fall die Potsdamer Richter „sehr wohl“ zugunsten Meyers entschieden und die Rückgabe des betroffenen Grundstücks angeordnet. Purps spricht – was die Sommerfeld-Siedler in helle Aufregung versetzt – von einem „Grundsatzurteil“.

Gerichtssprecher Möller tut das nicht. Tatsächlich hat Meyer im Februar Recht bekommen, doch ist das Urteil nicht rechtskräftig, weil am Bundesverwaltungsgericht Beschwerde eingelegt wurde. Viel wichtiger ist Möller aber darauf hinzuweisen: „Der Fall ist nicht ohne weiteres mit den vielen anderen Verfahren zu vergleichen.“ Denn es handelt es sich um ein Grundstück, das zwar schon unter Zwang von der Siedlungsgesellschaft verkauft worden war, aber eben noch vor der Übernahme der Siedlungsgesellschaft durch die Nazis am 21. April 1933. An diesem Tag wurde in der Siedlungsgesellschaft ein kommissarischer Vorstand der neuen Machthaber eingesetzt. Auf diese rechtlich grundlegend unterschiedlichen Aspekte legten auch die Richter in ihrer umfangreichen Urteilsbegründung Wert: „Es handelt sich um eine Einzelrestitution und nicht um einen Folgeanspruch aus einer Unternehmensschädigung.“ Um letztere geht es aber in den allermeisten Kleinmachnower Verfahren.

Auch die anderen drei vom Verwaltungsgericht im Februar und März entschiedenen Fälle, in denen jeweils die Rückübertragung von Grundstücken angeordnet wurde, sind rechtlich völlig anders zu bewerten als die Vielzahl der offenen Verfahren. Denn es handelte sich jeweils um Grundstücke, die privat von Verfolgten an die inzwischen „arisierte“ Siedlungsgesellschaft verkauft worden waren – neben Sommerfeld, der pikantermaßen gezwungen wurde, an seine eigene, ihm zuvor weggenommene Gesellschaft zu veräußern, war das in zwei Fällen der jüdische Bankier Mühlmann. Auch diese drei Urteile sind noch nicht rechtskräftig, weil gegen sie ebenfalls Beschwerde eingereicht wurde.

Der Ball liegt somit beim Bundesverwaltungsgericht, dessen Sprecherin Sibylle von Heimburg jedoch noch nicht sagen kann, wann die Fälle behandelt werden. Gut möglich, dass die Potsdamer Verwaltungsrichter so lange kein weiteres Verfahren aus der umfangreichen Sommerfeld-Akte verhandeln, weil sie von den Kollegen aus Leipzig Empfehlungen grundsätzlicher Natur erwarten.

Dennoch ist es kein Schaden, sich die Ausführungen von Rechtsanwalt Purps anzuhören, der seinen Vortrag demnächst in Kleinmachnow wiederholen will. Der Jurist, der etliche Kleinmachnower aus der Sommerfeld-Siedlung vertritt, sieht „erheblichen Spielraum“ für die jetzigen Grundstücksnutzer. Selbst im Falle einer Rückübertragung stehe man nicht rechtlos da. Purps’, der wie kein anderer in Archiven recherchiert hat, habe neueste Kenntnisse über das genaue Baugeschehen im Sommerfeld-Karree gewonnen. So gebe es aufgrund umfangreicher Erschließungsmaßnahmen eine erhebliche Wertsteigerung der Grundstücke, die im Falle einer Rückübertragung der JCC oder Meyer in Rechnung gestellt werden könnten. Purps reklamiere diese Erkenntnisse keinesfalls für sich: „Alle sollen wissen, welche Chancen und Möglichkeiten sie haben.“