Potsdamer Neueste Nachrichten 09.05.05

Gefühl der Befreiung

Gedenkveranstaltung zum 8. Mai in Kleinmachnow

Kleinmachnow – Leer blieb die Hälfte der Stühle im Bürgersaal am Samstag. Als „schmerzhaft“ bezeichnete Bürgermeister Wolfgang Blasig den Anblick der unbesetzten Stühle zur Gedenkveranstaltung aus Anlass des 8.Mai – auch weil die Gemeinde durch Diskussionen um den Tag der Befreiung in den letzten Wochen in die Schlagzeilen rückte. Die Frage, an der sich alles entzündet hatte: Wurde Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg befreit oder besiegt?

Vor 15 Jahren galt der 8.Mai in ostdeutschen Kalendern noch als Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus, in den Kalendern von Westdeutschen stand Muttertag, erinnerte Prof. Manfred Görtemaker die rund 50 Zuhörer, die zur Gedenkveranstaltung gekommen waren. Der Historiker, der an der Potsdamer Universität u.a. Neuere Geschichte lehrt, merkte in seiner Rede an, dass man nicht über Nacht zum Demokraten werde. Immerhin hatte es lange gedauert, bis ein deutscher Bundespräsident die von Deutschen begangenen Verbrechen als solche und nicht mehr als „im deutschen Namen“ begangene Verbrechen zu bezeichnen wagte.

Es bedurfte eines Richard von Weizsäckers, um den 8.Mai auch im Westen als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus zu sehen. Dagegen sei der Tag im Osten politisch instrumentalisiert worden, berief sich Görtemaker auf den Historiker Hubertus Knabe und dessen Buch „Tag der Befreiung? – Das Kriegsende in Ostdeutschland“. Knabe zufolge gingen die Ostdeutschen von einer Diktatur in die nächste. „Dagegen sah sich Westdeutschland als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches“, sagte Görtemaker. Das Gefühl der Befreiung habe sich bei vielen erst später eingestellt und hing auch wesentlich davon ab, wo man sich nach Kriegsende befand. Für die große Mehrzahl sei es zuerst ein Zusammenbruch gewesen. Wichtig war Überleben, und so wurde das Ende der Bombenangriffe auch als Erleichterung empfunden.

Von der Schuld könne keine Bevölkerungsgruppe freigesprochen werden. Görtemaker sieht die Ursachen nicht nur darin, dass die meisten Deutschen „einen Verrückten an die Macht wählten“, sondern schon zuvor die Niederlage im Ersten Weltkrieg nicht akzeptieren wollten. Die Deutschen hätten erst einen zweiten Krieg gebraucht, um zu begreifen, dass sie den ersten verloren hatten.

Gördemaker betonte, dass der DDR-Bevölkerung der Tag der Befreiung als Weltbild verordnet worden war, ebenso die Lektion, an der Seite der Sowjetunion zu den Siegern der Geschichte zu gehören, weshalb man die Verantwortung für Geschichte weitergab an die unbelehrbaren Kriegstreiber in Bonn. Doch auch in Westdeutschland, das sich an der Seite der westlichen Demokratien bald selbst für das Kernland aller Demokratie hielt, habe es lange gedauert, ehe die Bedeutung des 8.Mai verinnerlicht werden konnte. Heute heiße die gemeinsame Lektion, sich der Vergangenheit stellen und sie annehmen, sagte der Historiker in Kleinmachnow. Kirsten Graulich