Potsdamer Neueste Nachrichten 19.04.05

Rückkehr der Überlebenden

Adolf Grimme, Walter Janka, Herbert Sandberg – viele Künstler suchten nach Krieg und Exil in Kleinmachnow einen Neuanfang

Von Harald Kretzschmar

Wir leben im Jahr 2oo5, und ständig wird sechzig Jahre zurück erinnert. Die Nächte der Bomben. Flucht und Vertreibung. Erobert werden und Besatzungsregime. Das Lamento in Tremolo, vorherrschende Tonart des Zeitgeists, wird als wehleidiger Verfolgungswahn auf die Vergangenheit zurückprojiziert. Aber was kam danach? Kleinmachnow bewies nach dem Krieg schnell wieder seine Anziehungskraft für im Krieg verfolgte Intellektuelle.

Man hört nicht viel davon, was dem Ort in der Stunde Null beschert wurde. Es muss wohl etwas beschämend gewesen sein. Die Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge neben den dienstverpflichteten Einwohnern des Bosch-Rüstungsbetriebes – plötzlich auf freiem, ganz und gar zivilen Fuß. Die Spezialisten im Dienste des V-2-Forschungsprojekts des Reichspostministers – im letzten Moment als Vorreiter eines Drangs gen Westen auf Achse. Schreckliche Einzelschicksale wie die Erschießung des ehrwürdigen Mimen Friedrich Kayssler durch marodierende Rotarmisten sind das eine. Die Rückkehr der Überlebenden aus den Konzentrationslagern und Zuchthäusern des Naziregimes war das andere.

An prominenten Namen unter ihnen ist kein Mangel. Politische Köpfe wie Georg Gradnauer (Anfang der 20er Jahre sächsischer Ministerpräsident und Innenminister der Reichsregierung) und der Schulreformer und preußische Kultusminister Adolf Grimme waren darunter. Gradnauer war als Jude nach Theresienstadt deportiert worden und überlebte die Rückkehr nach Kleinmachnow nur um wenige Monate. Grimme war wegen Hochverrats verurteilt und von den Briten aus dem Zuchthaus Hamburg-Fuhlsbüttel befreit. Er bestimmte in der britischen Besatzungszone den antifaschistischen Neuanfang tatkräftig und maßgeblich mit und wurde die entscheidende Gründerfigur des freien Rundfunks.

Die beiden waren Teil der intellektuellen Elite, welche in Kleinmachnow ihren Wohnsitz genommen hatte. In Berlin lebende Künstler wie die für die moderne deutsche Musik so wesentlichen Arnold Schönberg und Kurt Weill oder der für den deutschen Expressionismus so wichtige William Wauer lebten zeitweise hier und schufen dabei Wesentliches. Die beiden weltberühmten Komponisten kehrten aus dem Exil, in das sie Hitler gejagt hatte, nie zurück. Wauer lebte seine – sozialistischen – Ideale an seinem Zweitwohnsitz Berlin-Tempelhof weiter und starb hochbetagt und hochgeehrt dort 1962. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass der bedeutendste deutsche Tierbildhauer nach August Gaul und neben René Sintenis, Harry Christlieb, schwer behindert durch Taubheit, Kleinmachnow bei Kriegsende fluchtartig verließ und sein durch das Modellieren einer edlen Büste des Nazihelden Horst Wessel prominenter Kollege Paul Gruson hier fröhlich weiter residierte.

Zehn Jahre nach Kriegsende hatten leider einige der Künstler, die nach jahrelanger KZ-Haft oder nach der Emigration hier sesshaft geworden waren, den Ort schon wieder verlassen. Die Porträtkarikaturisten Herbert Sandberg und Elizabeth Shaw gehörten dazu. Letztere hatte bis 1952 mit ihrem Mann, dem Bildhauer Rene Graetz, und den Familien von Ernst Hermann Meyer und Nathan Notowicz im Haus Zehlendorfer Damm 112 gewohnt. Meyer und Notowicz gründeten damals den Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler, welcher der Musikkultur in der DDR unter ihrer Leitung wichtige Impulse gab.

Erst spät kehrte aus der Westemigration Schriftsteller Walther Victor zurück. Unbehelligt zog er nach zwei Jahren im Ort weiter nach Berlin. Die bisweilen schon vor 1961 missliche Verkehrslage Kleinmachnows hielt dagegen andere ehemals Naziverfolgte nicht davon ab, auf Dauer hier ihren Wohnsitz zu nehmen. So der noch kurz vor Kriegsende wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilte Luftwaffenoffizier Vilmos Korn, der später mit seiner Frau Ilse das Buch „Mohr und die Raben von London" in Kleinmachnow schrieb. Oder der nach Zuchthaushaft zur Strafeinheit der „999er“ abkommandierte Journalist Wolfgang Joho, der dann in der Medonstraße seine Romane über das Anderswerden zu Papier brachte. Sein Verleger war der aus der mexikanischen Emigration heimgekehrte Spanienkämpfer Walter Janka. Er wurde 1952 mit seiner Frau Charlotte im Heidereiterweg da heimisch, wo vorher schon das dem KZ Auschwitz entkommene Ehepaar Hirsch ein Zuhause gefunden hatte. Die Hirschs flohen rechtzeitig vor möglicher neuer Verfolgung, während Janka sich mutig dieser entgegenstellte. Und das mit mehrjähriger Zuchthaushaft bezahlte.

Gerade dies – die unangepasste, oft widerständige Wesensart – vereinte viele der in der DDR eine politische Heimat suchenden Intellektuellen, die Kleinmachnower wurden. Neben Janka ist da zuallererst Robert Havemann zu nennen, der Mithäftling Erich Honeckers im Zuchthaus Brandenburg gewesen war. Und der bereits 1948 wieder als neuer Chef der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem bei der amerikanischen Besatzungsmacht aneckte. Er kam für einige Jahre nach Kleinmachnow, und sammelte sofort wieder einen Kreis origineller Geister um sich. Unter anderem den ehemaligen Buchenwaldhäftling Herbert Sandberg, der ebenfalls vor neuerlicher US-Reglementierung seiner satirischen Zeitschrift „Ulenspiegel“ entwichen war. Bis er wiederum mit seinen eigenen Genossen ins Gehege kam, und die „Ulenspiegel“-Lizenz ganz verlor. Oder der 1958 hier sesshaft gewordene Trickfilmer Kurt Weiler. Aus jüdischer Familie im niedersächsischen Lehrte stammend, brachte er aus dem britischen Exil Anregungen für sein Metier mit, die in der DDR als zu modern zunächst verketzert wurden. Konsequent blieb er sich treu, gewann Verbündete in freien Künstlern wie Achim Freyer und Toffulutti und drehte meisterliche Puppentrickfilme. Oder Fred Wander. Der durch die Hölle der Lager Gegangene verewigte seine traumatischen Erlebnisse in Romanen wie „Hotel Baalbek“, während seine aus Wien mitgekommene Frau Maxie eine völlig neue literarische Form abseits des Mainstream schuf: „Guten Morgen, Du Schöne“ nannte sie einen Report mit Frauenmonologen. Aus gutbürgerlichen jüdischen Elternhäusern schon als Kinder vertrieben, unterdes zu Autoren geworden, kamen auf dem Umweg einer Reise um die halbe Welt Walter Kaufmann und Fred Reichwald nach Kleinmachnow. Der eine ist noch heute auf dem Gebiet der Reportage unschlagbar. Der andere starb nach mit großem Elan begonnenen Versuchen auf dem Gebiet der Fernsehdramatik 1963, gerade erst 41-jährig. Übrigens war Kleinmachnow offenbar gerade für Remigranten von der britischen Insel besonders attraktiv. Josef Winternitz, im deutschsprachigen jüdischen Prag als Professorensohn aufgewachsen und führender marxistischer Theoretiker, lebte kurz hier, ehe er nach London zurückging. Den Streit mit stalinistischen Widersachern beendete sein Tod 1952. Oder die Schauspielerin Betty Loewen vom „Berliner Ensemble“ Bertolt Brechts. Sie hatte schon beim „Deutschen Kulturbund“ in London Theater gemacht. Oder der Bariton Horst Jakob. Als jüdisches Kind 1938 den Verfolgern entkommen, fand er in Kleinmachnow eine neue Heimat. Wir erlebten ihn hier als charmanten Interpreten französischer Chansons.

Harald Kretzschmar wurde 1931 in Berlin geboren. 1950 bis 1955 Studium an der Hochschule für Graphik und Buchkunst in Leipzig. Seit 1955 Mitarbeiter beim „Eulenspiegel“ und Kleinmachnower. Karikaturen in der Ausstellung „Geteilt – Vereint" im Haus der Geschichte der Bundesrepublik.