Potsdamer Neueste Nachrichten 10.01.05

Geschichte auf Wanderung

Der Kleinmachnower Heimatverein stellte zu seinem Neujahrsempfang den Nordosten des Ortes vor

Von Kirsten Graulich

Kleinmachnow – Vor dem Haus Ernst-Thälmann-Straße 22 bleiben oft Besucher stehen, spähen über den Zaun und einige scheuen sich auch nicht, das Haus mit dem Satteldach zu fotografieren. Dabei scheint das weiß gestrichene Einfamilienhaus hinter Rhododendronbüschen und Nadelgehölz eher bemüht zu sein, nicht aufzufallen, was nicht sonderlich schwer fällt angesichts der gebauten Lebensträume, die ringsum seit dem Mauerfall auf märkischem Sand stehen. Doch die Neugierigen vor dem Zaun treibt anderes hierher, denn in der Nummer 22 wohnten einst Maxie und Fred Wander.

Am einstigen Wohnhaus des Schriftstellerehepaares führte am Wochenende auch die Neujahrswanderung des Heimatvereines vorbei. Die meisten der rund 30 Teilnehmer kannten vor allem Maxi Wanders Tonbandprotokolle, die unter dem Titel „Guten Morgen, du Schöne“ in der DDR für Aufsehen sorgten. Den Erfolg des Buches begründete die Offenheit, mit der Lebensprobleme im Realsozialismus geschildert wurden. Vom Todeskampf gezeichnet erlebte die Autorin 1977 noch die Erstveröffentlichung, nur wenige Wochen danach erlag sie einem Krebsleiden. Fred Wander gab nach dem Tod seiner Frau ihre Tagebücher und Briefe heraus.

Dass das Schriftstellerehepaar zuvor in einem kleinen Haus in der Straße Wolfswerder wohnte, erfuhren die Teilnehmer auf dem weiteren Wanderweg, der durch den nördlichen Teil des Ortes führte. Ingo Saupe vom Heimatverein wusste als kundiger Ortsführer viele interessante Details zu berichten. So auch, dass der österreichische Autor Fred Wander, der die Nazizeit im KZ Buchenwald überlebte, danach in einer Laube in Wien wohnte. Als das Ehepaar 1958 in das Kleinmachnower Häuschen am Ortsrand zog, währte die beschauliche Idylle dort nicht lange. Denn nachdem im Garten die Obstbäume gefällt wurden, setzte man ihnen eine Mauer vor die Terrasse. Später zogen Wanders in die Ernst-Thälmann-Straße. Dort wohnte einige Jahre zuvor die Schauspielerin Helga Göring. Bekannt wurde die 1922 in Dresden geborene Göring durch ihre Fernsehrollen als Käthe Kollwitz und Anette Droste-Hülshoff. In Erinnerung ist sie vielen aus der Serie „Rentner haben niemals Zeit“. In dieser Serie spielte sie an der Seite ihres Kollegen und einstigen Nachbarn Herbert Köfer. Er wohnte nur ein paar Schritte entfernt im Machaweg. Unweit davon befindet sich auch das Haus des einstigen ersten Außenministers der DDR, Georg Dertinger. Er wohnte in den 50er Jahren in der Ernst-Thälmann-Straße 8 bis zu jener denkwürdigen Nacht zum 16. Januar 1953, als er und seine Frau wegen angeblicher „imperialistischer Spionagedienste“ verhaftet wurden. Vor allem das Schicksal des achtjährigen Christian, der bei Pflegeeltern aufwuchs, wie Saupe erzählte, berührte die Teilnehmer der Wanderung.

Sie erfuhren in zwei Stunden von manch tragischem Schicksal, wie das des Völkerkundlers Dr. Joachim Dieter Bloch. Er gehörte als Kurier zu den Männern des 20.Juli 1944. Am 25.April 1945 erschoss ihn ein sowjetischer Soldat auf der Straße vor seinem Haus im Heideweg 9. Saupe wusste auch von Kleinmachnow als Refugium für Künstler zu berichten. Neben Musikern und Regisseuren schätzten auch Maler die Abgeschiedenheit des Ortes. So wohnte in der Straße Am Rund der Maler Otto Herbig, ein Schüler von Lovis Corinth und Freund des Malers Karl Schmitt-Rottluff. Als Herbig nach seiner Professur an der Bau- und Kunsthochschule Weimar 1955 nach Kleinmachnow zog, stand das Haus noch allein in idyllischer Landschaft. Seitdem bekam es Nachbarn in allen Himmelsrichtungen. Einige Wegstrecken der Wanderroute führte Ingo Saupe die Teilnehmer auch über kleine Pfade, zwischen den Siedlungsstraßen, sogenannte „Schluppen". Der Heimatverein hat viele dieser Pfade aufgelistet, einige davon sind bereits bebaut. Deshalb wollen sich die Vereinsmitglieder künftig dafür einsetzen, dass diese ortstypischen Wege erhalten bleiben.