Potsdamer Neueste Nachrichten 30.12.04

Von der Villenkolonie zur Bürgerhaussiedlung – und dann?

Der erstklassige Band „Südwestlich siedeln“ ist eine erhellende Darstellung von Kleinmachnows Entstehung und der Interessen dahinter

Von Prof. Hubert Faensen

Unter dem Titel „Südwestlich siedeln“ liegt jetzt ein erstklassiger Beitrag zur Siedlungsgeschichte Kleinmachnows vor. Die beiden Autorinnen, die Kunsthistorikerin Nicola Bröcker und die Architektin Celina Kress, haben die Quellen in den Archiven und die zeitgenössische Literatur sorgfältig und genau aufgearbeitet. Der Band ist reich mit historischen Fotos, Zeichnungen und Plänen illustrierte und im Lukas-Verlag erschienen, der sich einen Namen gemacht hat mit Editionen zur Kulturgeschichte Brandenburgs.

Im Kern handelt es sich um zwei wissenschaftliche Arbeiten zu speziellen Themen: der Zehlendorf-Kleinmachnower Villenkolonie und der Geschichte der Bürgerhaussiedlung von 1927-37. Mit der an der Ortsgrenze zu Zehlendorf gelegenen so genannten ZehlendorfKleinmachnower Villenkolonie beschäftigt sich Nicola Bröcker und ergänzt ihr Kapitel durch einen Bestandskatalog. Sie untersucht die Entwicklung vom Hakeschen Gutsdorf zum Berliner Vorort während der Kaiserzeit – zu dem mit dem Bau des Teltowkanals ein reger Ausflugsverkehr einsetzte. Sie zeichnet den Ankauf die 1904 gegründete Terrain-AG nach, die Bauplanung, Erschließung und Vermarktung. Man hoffte durch die naturgegebene Schönheit des Bauplatzes zahlreiche Kaufinteressenten zu werben, die sich vergleichbare Grundstücke im Grunewald, am Schlachtensee oder Wannsee nicht leisten konnten. Allerdings blieb der Erfolg vor dem Ersten Weltkrieg wegen der mangelhaften Verkehrsanbindung und Nahversorgung versagt.

Die Bauherren der zwischen 1906 und 1913 errichteten 21 Villen waren Ingenieure, Kaufleute, kleine Fabrikanten, Schriftsteller und vor allem Künstler, die sich untereinander kannten und nicht täglich nach Berlin pendeln mussten. Mehr denn als Repräsentation galt ihnen Funktionalität und Individualität als Lebens- und Wohnbedürfnis. In kulturhistorisch interessanten Zusammenhängen stellt Bröcker das von Kaiser Wilhelm II geförderte Seemanns-Erholungsheim und die Wohnbauten vor, mit Vorliebe für „Künstlerbauherren“, unter anderem die Maler Fritz Burger und Robert Hoffmann, den Bildhauer Ferdinand Lepcke, die Schriftsteller Lily und Heinrich Braun und Adolf Reinicke. Sie verdeutlicht anhand von Grundrissen die Raumstrukturen und untersucht die stilistische Vielfalt, an der namhafte Architekten wie Bruno Paul, Albert Rieder und Wilhelm von Tettau Anteil haben. Einflüsse des Historismus kreuzen sich mit Jugendstil, Heimatschutz- und Reformbewegung.

In der Werbung der Terraingesellschaft wurde immer wieder der schöne alte Wald mit seinen hohen Nadel- und Laubbäumen gerühmt, der dem Bauzweck dann größtenteils zum Opfer fiel. Allerdings blieb im Vergleich zur Verdichtung, die der heutige Bebauungsplan ermöglicht, die Rodung durchaus maßvoll – wie Fotos von Waldemar Titzenthaler aus dem Sommer und Winter 1906 zeigen. Das Management und die Teltower Baubehörde versuchten, durch die Festlegung auf große Grundstücke, eine lockere Bebauung und den Landhausstil den Charakter der Landschaft zu bewahren. Als Fachberater wurde damals der bekannte Berliner Architekt Bruno Schmitz engagiert, der auch selber zwei Häuser errichtete. Für bemerkenswert hält Bröcker die „oftmals geringe Größe, die sich am Außenbau zunächst gar nicht abschätzen lässt“, sowie die großzügige Raumqualität der Straßen, die später auf andere Wohnviertel übertragen wurde.

Kress beschäftigt sich mit der Bürgerhaussiedlung in den Jahren 1927-37. Hier handelt es sich nicht um Architektenhäuser, sondern um Einfamilien-Typenhäuser. Initiator des innovativen und angesichts der Wirtschaftskrise mutigen Großsiedlungsprojekts war der jüdische Unternehmer Adolf Sommerfeld, der über seine Firmengruppe ein großes Gelände südlich der Stammbahn erwarb. Er hatte schon 1919 zu Walter Gropius Kontakt aufgenommen und Arbeitsabläufe in der Bauproduktion rationalisiert. Bei seinen Sympathien für das Bauhaus verwundert es, dass er ab 1930 als Chefarchitekt Alfred Schild engagierte, einen Schüler von Bodo Ebhard, dem Baumeister der Neuen Hakeburg und Vertreter eines konservativen Historismus – offenkundig aber zum Vorteil des Siedlungsplans. Denn dieser steht, so Kress, im deutlichen Gegensatz zu funktionalistisch-rigiden Zeilenbausiedlungen und orientiert sich „an Motiven englischer Gartenstädte“. Die „Einfühlung in topographisch-landschaftliche Gegebenheiten“ führte zur Anlage breiter Grünzüge und zu einer figurativen und intimen Straßenführung, andererseits zum Verzicht auf Zentrum, Plätze und Sichtachsen.

Im April 1932 begann der Bau der ersten 250 Bürgerhäuser. Schon Ende Mai waren mehr als 60, nach vier Monaten über 200 verkauft, so dass ein zweiter Bauabschnitt eingeleitet werden konnte. Die Entwürfe stammten von den Berliner Architekten Heinrich Straumer und Ernst Rossius-Rhyn, die als Vertreter der gemäßigten Moderne galten. Sie wollten die Nüchternheit der Bauhausarchitektur überwinden und das bürgerliche Wunschbild vom idyllischen Leben in der Natur zusammenführen mit einer preiswerten, rationalisierten Bauproduktion. Nach einem Spruch von Sommerfeld sollte „der Ministerialrat neben dem einfachen Mann wohnen“, von dem er freilich Eigenkapital erwartete. Immerhin bot er einen sehr günstigen Kaufpreis: Haus und Garten (zirka 600 Quadratmeter) für 12900 Reichsmark bei einer Finanzierung mit Eigenanteil von nur 4900 Reichsmark. Als weitere Motive für den Erfolg nennt Kress die ungewöhnliche Größe der Wohnräume, die rationelle, aber variable Grundriss- und Raumgestaltung und die dem Eindruck der Gleichgültigkeit entgegenwirkende äußere Erscheinung.

Das Angebot sprach unterschiedliche mittelständische Berufs- und Einkommensgruppen an. Zu den Käufern gehörten auch der Luftwaffengeneral Walter Wever. Ob die dezentrale Einrichtung kleiner Läden das Einkaufsproblem behob und neue Buslinien sowie der Haltepunkt an der Stammbahn den Verkehr mit Berlin erleichterten, lässt sich heute schwer beurteilen.

Unmittelbar nach der Machtergreifung durch die Nazis 1933 erfolgte ein tätlicher Anschlag auf Sommerfeld, so dass er ins Ausland flüchten musste. Die Firma wurde von einer NS-Leitung übernommen und das Siedlungsprojekt bis 1936/37 in vier weiteren Bauabschnitten fortgeführt, zunächst unverändert, dann mit der Möglichkeit einer Aufteilung des Typenhauses in zwei kleine Wohnungen. Andere Siedlungsfirmen, die sich in Kleinmachnow eingekauft hatten, modifizierten das Erfolgsmodell.

Eingangs gibt Kress einen Überblick über die Entwicklung Kleinmachnows in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ordnet sie ein in die soziokulturellen Prozesse des Berliner Umlands und die Planungen und Architekturen, die aus der Intention des stadtnahen Wohnens im Grünen resultierten. Aufschlussreich und teilweise unbekannt sind die Informationen zur 1909 gegründeten Kolonie Dreilinden, zur Siedlungsgenossenschaft Eigenherd, die 1920 aus dem deutschen Siedlerbund hervorging, und zur 1921 beginnenden Gesamtflächenplanung der Gemeinde, die um die einzelnen Siedlungsbereiche große Grünzonen vorsah.

Das Einführungskapitel weist Wiederholungen, aber auch Lücken auf. Man hätte gern etwas gelesen zur Bebauung der Zehlendorfer Villenkolonie in den 20ern und 30ern, zur Eigenherd-Schule, zum Musiker- und Weinbergviertel, zu den Bauten der Reform-Architekten Walter Gropius, Egon Eiermann, Hermann Henselmann und Max Taut (errichtet für Adolf Grimme), zu den Wohnhäusern von Kurt Weill und Friedrich Kayssler, zu den Holländischen Häusern usw. Auf den Rüstungsbetrieb Bosch wird eingegangen, nicht aber auf die Forschungsanstalt der Reichspost, auf die Baugesellschaft der Deutschen Arbeitsfront, nicht aber auf weitere Eingriffe des NS-Regimes (Siedlungsgesetz von 1933, Gesetz zur Beschaffung von Boden für Siedlungen von 1936, Umorientierung der NS-Siedlungspolitik auf Mietwohnungen). Ein Index hätte den Umgang mit dem Gesamttext erleichtert.

Zu hoffen ist, dass der Bürgermeister das Leitbild von den naturräumlichen Qualitäten einer Gartenvorstadt, zu dem er sich im Geleitwort bekennt, in der Baupolitik umsetzt. Indes ist zu befürchten, dass eine Trabantenstadt heranwächst und von Kleinmachnow nur der Mythos fortlebt. Jedenfalls leisten die Autorinnen wirklich, was sie sich im Vorwort vornehmen. Sie bieten eine interessante und gediegene Fallstudie zu suburbanen Siedlungsstrategien und Grundstücksspekulationen. Man kann sie nur zur Fortführung ihrer Forschungen ermutigen.

Der Autor lehrte Kunstgeschichte an der Humboldt- Universität und hat unter anderem ein Buch über die Hakeburg geschrieben.