Potsdamer Neueste Nachrichten 04.12.04

Die Kultur atmet schwer

… dabei können die Kleinmachnower sie überall im Ort inhalieren

Kleinmachnow - Bei der Namenssuche für den Bürgersaal, der im Februar im Kleinmachnower Rathaus eröffnet wird, kursiert bereits ein Vorschlag: Kurt-Weill-Saal. Oha, mag da manch einer sagen, das klingt anspruchsvoll, hoffentlich hebt das die Türschwelle zum Saal nicht zu hoch.

Der Vorschlag symbolisiert ein wenig das Wechselspiel zwischen Kultur und ihrer Wahrnehmung im Ort. So reich und bunt das Angebot ist, so schwer hat sie es, von einem breitem Publikum wahrgenommen zu werden. Fast möchte man glauben, atme die Kleinmachnower Kultur deshalb so schwer, weil in den Kammerspielen – der Traditionsstätte – die Luft dünner geworden ist. Als alleiniger Regisseur kämpft Eigentümer Karl-Heinz Bornemann um das Überleben des Hauses. Animationsversuche eines Förder- und eines jüngst gegründeten Trägervereins zum Betreiben der Kulturstätte blieben bislang wirkungslos.

Doch gibt es in Kleinmachnow weitaus mehr Orte, wo sich Kunst und Kultur inhalieren lässt. Gäbe es einen Kleinmachnower Kulturkalender, an dem sich Türchen öffnen ließen, käme fast jeden Tag ein Bild zum Vorschein. Am Zehlendorfer Damm gestaltet der Kultur- und Kunstverein jeden Monat ein neues Programm. Vor der Hakeburg gibt es im Sommer Klassik-Konzerte und auf dem Rathaus-Markt Jazz. Regelmäßig macht die am Weinberg ansässige Kreismusikschule Kleinmachnow zur Probe- und Konzertbühne, genauso wie die Schüler der Gitarren-Akademie vom Seeberg. Es gibt Vorträge im Seniorenklub, Dia-Shows bei der AWO, Musik im Affenklub, Kreatives in der JFE. Es gibt architekturgeschichtliche Wanderungen und politische Lesungen.

Theaterstücke vom Weinberg-Ensembles und der Waldorf-Schule sind längst Tradition, genauso wie im Winter die Kleinmachnower Märchentage. Und mit dem Stiftstheater im Augustinum hat der Ort eine Bühne, die hin und wieder selbst Berliner Philharmoniker betreten. Nicht zu vergessen die Auftritte der Kantorei der Kirchengemeinde. Allein diese Aufzählung des kulturellen Potpourri kann nicht den Anspruch erfüllen, vollständig zu sein.

Trotzdem geben sich die Kleinmachnower mit dem Kulturangebot in ihrem Ort nicht zufrieden. Die 2,8 bei einer Zwischenauswertung der Wohlfühl-Umfrage ist eine der schlechteren Noten. Der Karikaturist Harald Kretzschmar hat dafür eine recht drastische Erklärung: „Das intellektuelle Niveau ist hin, weil kaum noch Künstler hier wohnen.“

Er erinnert an das frühere Kleinmachnow, das als Heimstatt für Schriftsteller, Regisseure und Maler galt. Sicherlich hat unter dieser Klientel ein Austausch stattgefunden, so dass heute eine andere Künstlergeneration in Kleinmachnow lebt als sie ein Alt-Vorderer wie Kretzschmar kennt. Doch die vielen offenen Ateliers am vergangenen Wochenende sind Beleg, dass Kleinmachnow noch immer als Künstlerkolonie gilt. Selbst Harald Kretzschmar wird dem nur verhalten widersprechen können: Immerhin ist er einer von 13 Künstlern, die heute im Kunst- und Kulturverein Gemälde, Grafiken und Porzellanarbeiten ausstellen. Selbst im Keller des Hauses wird seit einigen Wochen kreativ gearbeitet – „die prototypen“, junge Leute, für die Graffiti Kunst ist.

Vielleicht lässt sich die gemischte Gefühlslage zur Kleinmachnower Kultur dadurch erklären, weil sie einem Vergleich ausgesetzt ist, der durch die flankierenden Kulturstädte Berlin und Potsdam unvermeidbar ist. Den Anspruch hoher Theater- und Konzertgüte sehen die Kleinmachnower – nicht wenige wegen ihrer einstigen Berliner Wurzeln – eher in den Sälen und auf den Bühnen der Hauptstadt erfüllt.

Bürgermeister Wolfgang Blasig will weiter weg vom provinziellen Image, was so manch einer der Kleinmachnower Kultur unterstellen mag. Um den Saal im Rathaus zu einer glanzvollen Bühne zu erheben, lässt er sich von einem Kulturbeirat beraten, der sich in diesen Tagen zum ersten Mal getroffen hat. 25 Künstler und Kulturschaffende aus dem Ort sind in dem Gremium. Das Treffen verdeutlichte die Potenzen der Kleinmachnower Kultur: Denn es gab Beschwerden ortsansässiger Künstler, dass sie nicht eingeladen waren. Peter Könnicke