Potsdamer Neueste Nachrichten 01.09.04
Der schwere Gang zur Jugend
2300 Jugendliche leben in Kleinmachnow. Sie testen ihre Grenzen. Nun fragt
die Gemeinde, was tun, damit sie nicht zu weit gehen?
Kleinmachnow - „Da geht es nicht ums Ballspielen. Da geht es auch um Drogen!“
Der Mann aus dem neuen Wohnviertel an der Kleinmachnower Förster-Funke-Allee
hat den Volksvertretern des Ortes soeben seine Sorgen beschrieben, die er mit
den abendlichen Aktivitäten von Jugendlichen auf dem benachbarten Spielplatz
hat. Es ist nicht der einzige Hilferuf. Wie andernorts auch, trifft sich
Kleinmachnows Jugend unter freiem Himmel. Joints und Alcopops machen auch hier
die Runde. Es wird gekifft, getrunken und geprügelt. „Davor kann man nicht die
Augen schließen“, sagt Kerstin Stein, die seit Jahren die
Jugendfreizeiteinrichtung (JFE) des Ortes leitet.
Der Zuzugsboom, den Kleinmachnow in den vergangenen Jahren erfahren hat,
hinterließ auch in der Jugend-Statistik Spuren. Fast 2300 Jugendliche und
Heranwachsende (14 bis 27 Jahre) sind hier zu Hause. Dazu kommen 1855 Kinder
zwischen 6 und 13 Jahren. Freizeitangebote gibt es reichlich: Gleich zwei
Musikschulen sind im Ort, ein gutes Dutzend Kurse bietet die JFE wöchentlich
an, der regionale Sportverein (RSV) hat für neun Sportarten sein Parkett
bereitet. Etwa 300 Kleinmachnower zwischen 8 und 18 Jahren schätzt RSV-Chef
Michael Grunwaldt in den Reihen des Sportvereins. „Ganz beachtlich“, meint
Grunwaldt, „aber das volle Spektrum decken wir damit bei weitem nicht ab.“
Während neue Kindergärten gebaut worden
sind, freie Schulen eröffneten und eine dritte kommunale Grundschule geplant
ist, offenbart sich bei den Jugendlichen Nachholbedarf. Lediglich ein neuer
Bolzplatz gilt als infrastrukturelle Begleiterscheinung im wachsenden
„Familiendorf“ Kleinmachnow. Dass im Vorjahr der Bolzplatz direkt neben dem
Wohnviertel am Stolper Weg entstand, bezeichnet heute der CDU-Abgeordnete
Ludwig Burkardt als „klassische Fehlplanung“. Die Nachbarschaft im Wohnviertel
fühlte sich gestört vom nächtlichen Radau der Jugendlichen. In etlichen
Gesprächen und gar mit wissenschaftlicher Begleitung einer Hochschuldozentin
für Jugendsozialarbeit wurde versucht zu schlichten. Das grundsätzliche Problem
indes ließ sich nicht vom Tisch wischen: Kleinmachnow hat keine Antwort für
seine Jugendlichen, die in Vereinen, Klubhäusern oder Kirchengemeinden keine
Adresse sehen. Ein Streetworker, so die Idee, wäre die Lösung.
Mit zwei pädagogischen Mitarbeitern betreut Kerstin Stein in der JFE den
Nachwuchs des Ortes. „Wir stoßen an unsere Grenzen“, stöhnt sie. Zumal die vom
Landkreis geförderten Stellen der beiden Sozialpädagogen im kommenden Jahr
auslaufen. Daher warb Stein in den vergangenen Wochen für einen Streetworker.
Für zunächst drei Jahre eine Fachkraft einzustellen und an die JFE anzubinden,
würde für personelle Entlastung sorgen. Vor allem aber biete mobile
Jugendarbeit „die Chance, schnell und unkompliziert auf die verschiedenen
Interessenlagen der Jugendlichen zu reagieren“.
Im Sozialausschuss der Gemeindevertreter als zuständiges Fachgremium wurde die
Frage mehrfach diskutiert. Die kommunalpolitische Familie ist gespalten bei der
Frage, ob ein Streetworker der richtige Ansatz ist für die Anforderungen der
Jugendarbeit im Ort. Vor allem die CDU hat Vorbehalte. „Eine konkrete Analyse
des Bedarfs und Sozialraums sowie einen Maßnahmeplan“ fordert
CDU-Fraktionsmitglied Guido Beermann, ohne bislang zufriedenstellend bedient
worden zu sein. Das von JFE-Chefin Stein in der Vorwoche vorgelegte Konzept
erfüllt nach Beermanns Ansicht den Auftrag nicht. In dem Papier finden sich die
aktuellen Treffpunkte Kleinmachnower Jugendlicher aufgelistet sowie die dort
auftretenden Probleme: Zum Teil massiver Alkoholkonsum, Lärmbelästigung,
Zerstörungen, gewalttätige Auseinandersetzungen sind Erscheinungen, die
Handlungsbedarf erfordern. Wie ein Streetworker auf die Probleme reagieren
soll, sagt das Konzept nicht.
Die christdemokratische Fraktion sieht daher die 120 000 Euro, die ein
Streetworker für drei Jahre kosten würde, leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Eine
zu unsichere Investition, heißt es auch von den „Bürgern für gute
Lebensqualität“ (BiK). Ein Streetworker sei kein Garant für Ruhe und Ordnung.
Um die Stelle zu rechtfertigen, würden die Treffpunkte Jugendlicher als „Orte
von Alkohol, Drogen und Vandalismus kriminalisiert“, erregt sich die BiK. Mit
120 000 Euro könnten ganz andere Angebote der Kinder- und Jugendarbeit
geschaffen und gefördert werden. Vielmehr als der Kirchenchor und die
Jugendfeuerwehr wurden bislang als Alternativen allerdings nicht genannt.
Daher fühlt sich Grünen-Fraktionschefin Nina Hille nur bestärkt, dass es
professioneller Begleitung bedarf, wenn Jugendliche ihr Bedürfnis ausleben,
sich zurückzuziehen und Grenzen zu überschreiten. „Es ist eine
gesellschaftliche Realität: Drogen, Gewalt und rechtsextremes Gedankengut sind
auch unter Kleinmachnower Jugendlichen verbreitet“, so Hille. Zwar sieht
Eberhard Scheunemann als Chef der Teltower Polizeiwache Kleinmachnow alles
andere als eine jugendkriminelle Problemzone, dennoch mahnt Klaus-Jürgen
Warnick von der PDS: „Wer glaubt, hier leben nur gut situierte, gebildete
Familien, in denen so etwas nicht passiert, der leugnet die Realität“. „Es gibt
Anlass, auf Jugendliche zuzugehen,“ sieht Sozialdemokrat Jens Klocksin Handlungsbedarf.
Doch vergeblich warb er bei der CDU-Fraktion, den Beschluss für einen
Streetworker mitzutragen, den in der Vorwoche eine Mehrheit im
Gemeindeparlament befürwortete. „Das sei nur eine politische Befriedigung“,
schüttelte deren Fraktionschef Burkardt den Kopf. Das Geld könne besser
angelegt werden.
Zur Erinnerung: Der Bolzplatz am Stolper Weg, den man als besonders geeignet
für jugendliche Bedürfnisse empfand, kostete 178 000 Euro. Am Ruf nach einem
Streetworker ht das nichts geändert. Im Gegenteil. Peter Könnicke