MAZ 20.06.09

 

Dreifaches Bravo

Unsichtbar ist sie fast geworden, die riesige Anlage. Wo einst die größte Grenzübergangsstelle der DDR stand, am Rande von Kleinmachnow, direkt neben der A 115, steht heute nur noch der alte Kommandoturm. Kein Zeichen davon, dass hier vor 20 Jahren 1000 Grenzer – darunter 400 Stasi-Mitarbeiter – im Schichtdienst arbeiteten, Pässe und Kofferräume kontrollierten, Autos mit radioaktiver Gammastrahlung durchleuchteten, Reisende verhörten und in einigen Fällen auch auf Flüchtende schossen. Es gibt nur indirekte Zeugen. Wie die Stahlplatten, die noch immer die untere Hälfte der Panorama-Fenster im Kommandoturm bedecken. Sie sollten die Grenzer vor Querschlägern der eigenen Leute schützen.

Das Wenige, was heute noch vom einstigen Kontrollpunkt zu sehen ist, erzählt viel über ein untergegangenes System und darüber, warum es wohl untergegangen ist. Da ist eine Übungspistole aus schwarzem Gummi, Typ Makarow, mit der die Grenzer im Nahkampf geschult wurden. Da gibt es ein Tonbandgerät, mit dem die Grenzer nach Aussage eines ehemaligen Stasi-Hauptmannes Wolf Biermann empfangen wollten, sollte er nach seiner Ausbürgerung 1976 noch einmal in die DDR reisen – die Grenzer wollten ihn auf das Band singen lassen. Da gibt es einen Koffer, den ein Westberliner 1962 auf seinen Motorroller geschnallt hatte und darin seine Verlobte über die Grenze schmuggelte.

Gesammelt haben diese Geschichten Peter Boeger und der von ihm 1998 gegründete Verein „Checkpoint Bravo“. Der Name ist beim Nachbarn entliehen. Der DDR-Grenzübergangsstelle (Güst) Drewitz-Dreilinden folgte auf Westberliner Seite der von den Amerikanern kontrollierte „Checkpoint Bravo“. Boeger, ein großer Mann mit klarem Blick und festem Händedruck, hat lange und hart für seinen Checkpoint Bravo kämpfen müssen. „Es war ein unglaublich mühsames Geschäft. Als wir den Verein gründeten, hatten wir noch nicht einmal den Turm“, blickt er zurück.

Nach der Wende hatte niemand großes Interesse an der riesigen Anlage. Die Gebäude der Grenzstation, darunter ein gigantischer Mitropa-Supermarkt für die Grenztruppen, wurden abgetragen. Am Turm, heute das letzte Überbleibsel der Güst, verewigten sich die Graffitti-Sprayer. Fenster wurden eingeschlagen, die Technik geplündert, die Nachbarn trugen Steine ab und verbauten sie in ihren Datschen.

Schließlich bezog mit dem Europarc Dreilinden ein neuer Eigentümer das Areal westlich der A 115. Dort, wo einst Verhörräume, Todesstreifen und Selbstschussanlagen den antiimperialistischen Schutzwall sicherten, sind die Aushängeschilder des Kapitals einzogen. Ebay Deutschland hat hier seinen Hauptsitz, neulich eröffnete Porsche eine Niederlassung.

Lange Zeit sträubte sich der Europarc gegen eine Gedenkstätte, so dass der Checkpoint Bravo, ganz im Gegensatz zu seinem berühmten Bruder, dem Checkpoint Charlie in der Friedrichstraße, fast in Vergessenheit geraten wäre. Erst Mitte 2005 lenkte der Europarc ein und garantierte Boeger die Nutzung des Turmes. „Mietfrei und das für 25 Jahre“, berichtet der 52-Jährige stolz. Boegers langer Atem erklärt sich wohl aus seiner Familiengeschichte: Teile seiner Familie kamen in den KZs der Nazis um, andere gingen als überzeugte Kommunisten in die Sowjetunion, wo man sie wegen einer unterstellten Verschwörung gegen Stalin erschoss. Er selbst arbeitet hauptberuflich für die Stasi-Unterlagenbehörde.

 

Ausgehöhlte Kuh als Versteck für Flüchtende

Mit Hilfe von Geldern der Länder Berlin und Brandenburg, mit Lottomitteln und Sponsoren gelang jetzt die Restaurierung des Kommandoturms, die Arbeiten kosteten laut Boeger rund 250 000 Euro. Anfang des Jahres spendete die Stiftung Aufarbeitung 20 000 Euro für eine Dauerausstellung, die am 8. November unter dem Titel „FreundwärtsFeindwärts“ eröffnet wird. „Es geht nicht darum, jemanden anzuprangern, sondern darum, das System darzustellen“, sagt Boeger, stellt aber klar: „Die Leute, die hier gearbeitet haben, waren Schild und Schwert des Systems.“

Fluchtversuche hat es viele gegeben in Dreilinden. Erfolgreiche und gescheiterte. Wie bei der Geschichte mit der trojanischen Kuh. Unter dem Vorwand, einen Partygag zu planen, hatte ein Westberliner Fluchthelfer 1969 beim Tierpräparator Hellmut Kriegerowski in Berlin-Grunewald eine ausgestopfte Kuh bestellt – mit der Bitte, sie so auszuhöhlen, dass ein Mensch in ihr Platz finden könnte. Im Juli 1969 flog die schwarz-weiß gescheckte Kuh per Luftfracht von Berlin nach Hannover und fuhr von dort über die Transitstrecke im Kleintransporter zurück. Zwei Mal konnten DDR-Bürger so – im Bauch der Kuh versteckt – nach Westberlin flüchten. Eine junge Chemnitzerin, die zu ihrem Verlobten nach Westberlin flüchten wollte, hatte weniger Glück. Am 7. Juli 1969 war sie in den Kleintransporter eingestiegen und hatte sich in der Kuh versteckt. Doch die Grenzer waren informiert. Sie zogen den Wagen aus der Schlange – die zwei Fluchthelfer und die junge Frau wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Claus Kriegerowksi, der damals seinem Vater Hellmut beim Aushöhlen der Kuh geholfen hatte, erinnert sich, dass sein Vater fortan die Transitstrecke aus Angst mied. Als er selber vier Wochen später die Grenzstation Dreilinden passierte, fragten ihn die Grenzer: „Präparieren Sie auch Kühe?“

Erklärt wird in der Ausstellung auch die Verlagerung des Grenzübergangs. Denn was viele nicht wissen: Die Güst Drewitz hatte einen Vorgänger. Bis 1969 passierten Fahrzeuge, die auf der Transit-Strecke DDR-Gebiet durchquerten, in dem kleinen Ort Albrechts Teerofen zum ersten Mal Westberlin. Weil Albrechts Teerofen wie ein kleiner Entenschnabel in das DDR-Territorium ragte (s. Karte) und die Autobahn nach nur 150 Metern Westberlin kurz hinter der Brücke über den Teltowkanal sofort wieder über sozialistisches Gebiet führte, verlegte man die Autobahn einfach.

Zwischen 1968 und 1972 entstand die neue, militärisch besser gesicherte Grenzstation in Dreilinden. Sogar eine „Leichenabfertigung“ wurde berücksichtigt. Die alte Autobahn auf Brandenburger Boden wurde vor wenigen Jahren renaturiert und ist mittlerweile fast vollständig abgetragen. Die letzten Reste der Grenzkontrolle sind als schwache Markierungen (Pkw, Lkw, Bus) zwischen Baum- und Graswuchs auf dem Asphalt der Kanalbrücke zu sehen. Die alte Raststätte vermodert, die Fensterscheiben sind eingeschlagen, die Buchstaben vergilbt. Dabei gäbe es Interessenten, die den ursprünglichen Checkpoint Bravo liebend gerne mit Leben füllen würden.

Da ist zum einen Matthias Haarbach, der als Stadtführer in Berlin arbeitet und die Raststätte zu einer Begegnungsstätte ausbauen möchte. Da ist zum anderen der grüne Europaabgeordnete Michael Cramer, der die Raststätte kaufen möchte, um dort eine ständige Ausstellung aufzubauen. Vor Jahren hatte er deswegen bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) angefragt. Damals erklärte die Bima, die Eigentumsverhältnisse seien unklar. Zumindest das hat sich jetzt geändert: Das Grundstück, auf dem die Raststätte steht, ist Eigentum der Bundesanstalt, so eine Bima-Sprecherin auf Anfrage.

Doch Cramer, der sich stark für den Mauerradweg einsetzte, der mittlerweile auch entlang Albrechts Teerofen läuft, knüpft einen Kauf an Bedingungen: Das fehlende Stück zwischen Autobahntrasse und der Brücke über den Teltowkanal müsste ausgefüllt, die Zuständigkeit bei der Ausschilderung geklärt werden.

 

 

Der alte Grenzübergang gammelt weiter vor sich hin

Der Baustadtrat des Bezirks Steglitz-Zehlendorf, Uwe Stäglin (SPD), hatte ihm dazu Unterstützung versprochen. Seit Wochen jedoch tut sich nichts. Uwe Stäglin selbst verweist auf den Fachbereich Tiefbau des Bezirksamtes. Dorthin hat er Cramers Bedingungen weitergeleitet. Der alte Checkpoint Bravo gammelt weiter vor sich hin.

Und dann gibt es da noch den „neuen Checkpoint Bravo“, der auf Westberliner Seite im April 1973 eröffnet wurde. Auch das prägnante Entrée zur Stadt im Stil der Pop-Architektur der 70er Jahre liegt seit Jahren brach, die denkmalgeschützten Gebäude drohen zu verfallen. Jetzt hat der Liegenschaftsfonds Berlin den Rot gestrichenen Rasthof mit dem daneben liegenden Parkplatz zum Kauf angeboten. Mehrere Investoren liegen im Rennen, noch diesen Sommer soll eine Entscheidung fallen. Vermutlich werde dort ein Gastronomiebetrieb einziehen, sagt Heidrun Hendricks vom Liegenschaftsfonds. „Wohnen wird da wohl keiner wollen.“

Die Ausstellung am Kontrollturm der Güst Dreilinden ist sonntags von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Weitere Terminwünsche nimmt Peter Boeger unter 033203/ 7 07 68 entgegen. (Von Sebastian Meyer)