‚MAZ 09.02.09

 

Stille Heldin

Geschichte Margarete Sommer rettete Juden – in Kleinmachnow kennen sie wenige

KLEINMACHNOW - Wie gedenkt ein Ort einer Heldin? Wer durch die Kleinmachnower Ernst-Thälmann-Straße schlendert, vorbei am Haus Nummer 166, ahnt nichts davon, dass an diesem idyllischen Ort im Dritten Reich Widerstandsgeschichte geschrieben wurde. Jeglicher Verweis fehlt.

Von 1934 bis 1950 leitete die promovierte Volkswirtin Margarete Sommer mit dem katholischen Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat Berlin die deutschlandweit einzige Hilfsstelle für rassisch Verfolgte, die bis zum Kriegsende – und darüber hinaus – aktiv war. Mit einem Netzwerk von Informanten und Helfern unterstützte sie Menschen, die nach den NS-Rassegesetzen als Juden verfolgt wurden.

Nach dem Krieg wurde sie mit einem päpstlichen Orden und dem Bundesverdienstkreuz geehrt. 2003 verlieh ihr die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem postum den Titel einer „Gerechten unter den Völkern“ (MAZ berichtete).

In Kleinmachnow dagegen ist eine Ehrung für die Frau, die 1950 vor den Nachstellungen der Kommunisten nach Westberlin floh und dort 1965 starb, bisher unterblieben. Die Benennung einer Straße wurde vor Jahren in der katholischen Gemeinde, aber auch im Heimatverein diskutiert. Bis in die entscheidenden Gremien drang das Thema jedoch nie vor.

Eine indirekte Anerkennung erfuhr Margarete Sommer aus der Hand des Grafikers Harald Kretzschmar. Unter seinen Porträts prominenter Kleinmachnower befindet sich auch ihr Bild. Vor gut einem Jahr kaufte die Gemeinde es mit 44 weiteren Grafiken für das Kleinmachnower Rathaus.

Von Margarete Sommers Arbeit im Hilfswerk für die verfolgten „Nichtarier“ erfuhr in Kleinmachnow niemand etwas. Strengste Geheimhaltung war die notwendige Voraussetzung, um Juden und ihren nichtjüdischen Angehörigen helfen zu können. „Meine Mutter war mit ihr befreundet, aber sie hat auch nichts gewusst“, berichtete die inzwischen verstorbene Gertrud Rötten. Seit 1936 kannte sie Sommer, „aber eigentlich nur vom Kirchgang, immer still und freundlich“.

Ihre persönliche Zurückhaltung täuschte: Energisch, Erfindungsreich und mutig rettete Margarete Sommer Leben. Schon 1934 verlor die promovierte Volkswirtin ihre Dozentenstelle in der Fürsorgeausbildung. Die finanziellen Einbußen waren auch der Grund für den Umzug nach Kleinmachnow, wo sie zu Mutter und Schwester ins Haus zog. Im Sommer 1938 gründete der Berliner Bischof Konrad von Preysing das Hilfswerk, dessen Leitung Margarete Sommer 1941 übernahm. Hilfen bei der Emigration, Beschaffung von Visa und Geld standen anfangs im Vordergrund. Als die Nazis die Auswanderung verboten, wurden die Aktivitäten vielfältiger – und gefährlicher. Von der Deportation Bedrohten half sie materiell und durch seelsorglichen Beistand. Arbeit und Lebensmittel wurden trotz strenger Verbote vermittelt.

Eine Reihe Juden, die sich der Deportation durch „Untertauchen“ entzogen, wurden von Margarete Sommers Netzwerke versteckt, ernährt und vor dem Zugriff der Häscher gerettet. Obwohl die Gestapo Margarete Sommer im Visier hatte, verbarg sie 1944 eine 17-jährige Jüdin einige Zeit in ihrem Haus. Nach dem Krieg half Margarete Sommer Menschen, die von den Kommunisten verfolgt wurden, und war Gründungsmitglied der Berliner Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

Vor diesem Hintergrund ärgerte sich Sommer über Kritik an ihrer Kirche. In einer Ausstellung über Pius XII., die derzeit im Charlottenburger Schloss zu sehen ist, wird ihr offener Brief an Regisseur Erwin Piscator zitiert, der 1963 Rolf Hochhuths Theaterstück „Der Stellvertreter“ – eine Anklage gegen den Papst – inszenierte. Ungehalten über die bis heute wirkende Darstellung des Papstes schrieb Sommer, „dass sowohl Hochhuths Stück als die Begründungen in Ihrem Programm von völliger Unkenntnis über die Wirklichkeit und die Zustände von damals zeugen. Peinliche Einseitigkeiten wechseln mit geschmacklosen Phantasien ab. Lassen Sie sich von mir versichern, dass alle Aktionen zum Schutz rassisch Verfolgter im Bischöflichen Ordinariat mit ausdrücklicher Billigung und nach Weisung Pius XII. durchgeführt wurden.“

Die Ausstellung im Charlottenburger Schloss ist noch bis zum 7. März zu sehen. (Von Thomas Marin)