Märkische Allgemeine Zeitung 18.12.06
CAROLIN SCHULZE
KLEINMACHNOW Karl-Heinz Kube war gerade erst 17 Jahre
alt, als er am 16. Dezember 1966 bei dem Versuch, nach West-Berlin zu
flüchten, von Grenzsoldaten erschossen wurde. Genau 40 Jahre nach seinem
tragischen Tod versammelten sich am vergangenen Sonnabend Angehörige,
Gemeindevertreter und weitere Gäste an der Stelle im Berliner Stadtteil
Zehlendorf, wo ein Holzkreuz an das Schicksal des jungen Ruhlsdorfers
erinnert.
Folgenschwerer Entschluss
Es war ein Freitagabend, an dem Karl-Heinz Kube und
sein damals 18-jähriger Freund Detlef S. einen folgenschweren Entschluss
fassten, der ihr Leben für immer verändern sollte. Gemeinsam wollten sie
die DDR hinter sich lassen und in West-Berlin eine neue Zukunft aufbauen.
So kurz vor Weihnachten nahmen die beiden Freunde an, dass viele
Grenzsoldaten bereits zu Hause bei ihrer Familie sein würden und niemand
die Jugendlichen entdecken könnte. Ein verhängnisvoller Irrtum.
Zunächst gelang es ihnen, in der Nähe des Teltower
Hafens die Stolperdrähte und Stacheldrahtsperren zu überwinden und den 12
bis 15 Meter breiten Todesstreifen zu durchqueren. Doch als sie den
Sperrgraben erreichten, wurden Kalle, wie er von seinen Freunden genannt
wurde, und Detlef von vier Grenzsoldaten bemerkt und gezielt unter Beschuss
genommen. Obwohl die beiden Jugendlichen ihren Fluchtversuch als
gescheitert ansahen und bereits den Rückzug antraten, wurde das Feuer nicht
eingestellt. Karl-Heinz Kube starb durch Schüsse in den Kopf und in die
Brust. Sein Freund Detlef S. wurde verletzt festgenommen und später vom
Kreisgericht Potsdam-Stadt wegen "gemeinschaftlich versuchtem
Grenzdurchbruch" zu einem Jahr und acht Monaten Gefängnis verurteilt.
Die vier Grenzposten dagegen wurden für ihr "vorbildliches
Verhalten" belobigt und geehrt.
Ohne jeglichen Kommentar erhielten
Karl-Heinz Kubes Eltern und dessen vier Geschwister eine Urne mit der Asche
ihres Sohnes und Bruders. Wie viele hofften auch sie nach dem Fall der Mauer,
dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden würden.
Grenzsoldaten freigesprochen
Doch 1993 wurden die vier Grenzsoldaten freigesprochen. Ein
Urteil, dass nicht nur für Karola Linow, die jüngste Schwester, unverständlich
blieb. Sie war sechs Jahre alt, als ihr Bruder ums Leben kam. "Es war das
erste wirkliche Leid, das ich erlebt habe, und bis heute ist es
unvergessen", berichtete sie in einem Leserbrief an die MAZ. Sie erinnert
sich, dass er nie Nein sagte, egal welchen Wunsch sie äußerte. So schleppte
Kalle einen alten Puppenwagen an, den er reparierte, weil er seiner kleinen
Schwester den sehnlichsten Wunsch – einen eigenen Wagen – erfüllen wollte.
Zur Gedenkfeier erschienen auch die beiden Brüder von
Karl-Heinz Kube. Klaus-Dieter war damals 13 und Hans-Joachim 16 Jahre alt.
"Ich wusste, dass er fliehen wollte. Über ein halbes Jahr hatten sie sich
auf diesen Tag vorbereitet", erzählte Hans-Joachim Kube und fügte hinzu,
dass er seinem Bruder folgen wollte, wenn alles geklappt hätte. Doch es kam
anders als geplant.
Das schlichte Holzkreuz an der Berlepschstraße gleich
hinter dem Ortsausgang Kleinmachnows erinnert jedoch nicht nur an den Tod von
Karl-Heinz Kube. Es steht auch stellvertretend für alle anderen, die in der
damaligen Zeit leiden mussten. "Menschen wie Karl-Heinz sind nur die
Gewaltspitze. Es gab so viele, die während der SED-Führung festgenommen und
drangsaliert wurden. Mahnmale wie dieses symbolisieren die Diktatur",
sagte Hans-Hermann Hertle vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.
Er möchte die Geschichten der Menschen, die an der Berliner Mauer ihr Leben
ließen, vor dem Vergessen bewahren.