Märkische Allgemeine Zeitung 01.04.06

Der Blick ist wieder da

Tek km 00,00: Bürgershof / "100 Jahre Teltowkanal" (Teil 36)

PETER HAHN

Mit dem Bürgershof in Klein Glienicke hat sich die Landeshauptstadt Potsdam nach der Wende gewiss nicht mit Ruhm bekleckert. Als bekannt wurde, dass die Alteigentümer ihre Rechte geltend machen würden, erwirkte die Stadt am 26. Juni 1992 einen Vermögenszuordnungsbescheid. Potsdam wurde in das Grundbuch als Eigentümer eingetragen, weil das Areal "bis 1990 als Wohngebietsclub genutzt worden" sei. Zehn Jahre später wurde die rechtswidrige Enteignung aufgehoben.

Als dann am 19. Februar 2002, zwölf Jahre nach der ersten Rückgabeforderung, die Alteigentümer das Areal nach dem Mauergrundstücksgesetz vom Rechtsnachfolger Bundesrepublik Deutschland für 25 Prozent des Verkehrswertes rückerworben hatten, setzte Potsdam seine Denkmalpfleger in Bewegung. Zu den Baumaßnahmen und Genehmigungsverfahren kamen nun die Auflagen: Die Gestaltung des Biergartens Bürgershof, Rasenflächen, Heckenreihen, Sträucherauswahl, selbst Sitzplatzanordnung und Sonnenschirmfarbe wurde von der Denkmalspflege Potsdam vorgeschrieben, "aus ästhetischen Gründen wegen möglicher Beeinträchtigung des Weltkulturerbes Babelsberger Park". Das verwundert noch immer, zumal von ähnlichen Restriktionen bei den Untaten am Glienicker Horn wenig bekannt wurde.

Die Waldmüllerstraße, die früher Kurfürstenstraße hieß, hatte Kurfürst Friedrich Wilhelm Ende des 17. Jahrhunderts anlegen lassen. Am Weg zum Jagdschloss Glienicke ließ Prinz Carl von Preußen nach 1863 zehn Wohnhäuser im Schweizer Stil errichten. Etwa zur gleichen Zeit erfolgte die Bebauung der gegenüberliegenden Straßenseite, darunter das noch heute vorhandene Gebäude der sogenannten Bierhalle. 1886 schuf der Potsdamer Architekt W. E. Petzholtz 1875 für den Gastwirt Ludwig Bürger das Hauptgebäude des "Bürgershof" in einer Stilmischung von Renaissance und Gründerzeit. Zum Ensemble gehörten Festsaal, Wintergarten, Musikpavillon und die eigene Dampferanlegestelle an der Glienicker Lake.

Der große Aufschwung kam 1906 mit der Eröffnung des Teltowkanals. Zuerst schipperte am 2. Juni Kaiser Wilhelm II. mit der königlichen Yacht "Alexandria" aus der Glienicker Lake vor. Dann machten die Ausflugsdampfer "Wannsee" und "Steglitz" an der Anlegestelle fest. Biergarten und Weinrestaurant mit dem Blick auf Park und Schloss Babelsberg wurden zu einem besonderen Ort für die Ausflügler. In seiner Blütezeit beschäftigte der Bürgershof annähernd einhundert Kellner. Mittwochs und sonntags spielte in den Sommermonaten die Kapelle des preußischen Infanterieregiments Nr. 9 zum Tanz auf.

Keiner hatte daran gedacht, daß es in dieser idyllischen Gegend einmal zu territorialen Abgrenzungen kommen könnte. Zuerst flohen die Alteigentümer, dann übernahm der "Konsum" die Bewirtschaftung. Mit dem 13. August 1961 zerfiel Klein Glienicke in zwei Teile. Jagdschloss, Böttcherberg und Königsstraße waren West-Berlin, der hineinragende Rest mit Kirche, Friedhof und Schweizer Häusern gehörte zu Potsdam, war damit DDR und Sperrgebiet. Klein Glienicke erhielt als Grenzbefestigung eine Vorderlandmauer direkt am Uferstreifen der Glienicker Lake und eine Hinterlandmauer ringsherum. Aus dem Bürgershof und seinem Biergarten wurde der Todesstreifen.

Nachdem am 1. Dezember 1970 das Grundstück auf der Grundlage des Verteidigungsgesetzes der DDR enteignet worden war, ordneten die Räte des Bezirkes und der Stadt Potsdam gemeinsam mit der Kreiseinsatzleitung der Nationalen Volksarmee am 15. Januar 1971 die Sprengung des Hauptgebäudes an. Der Schutt wurde beseitigt, das Gelände eingeebnet, das Kellergeschoss verfüllt. Erhalten blieb mitten im Grenzbereich einzig das Gebäude der Bierhalle. Zwischen den Grundstücken Waldmüllerstraße 3 und 6 entstand eine vierzig Meter breite geharkte Sandfläche als Teil der Grenzsicherungsanlagen.

Obwohl dies hinreichend bekannt war und die Grenzanlagen im Frühjahr 1990 für alle sichtbar geschliffen wurden, bestritt die Potsdamer Verwaltung in ihren Verhinderungsverfahren unter Berufung auf einen Rechtsträgernachweis von 1976, dass es sich jemals um ein Mauergrundstück gehandelt habe. Das Grundstück sei früher "ausschließlich für kulturelle Zwecke genutzt" worden.

Man kann es im 21. Jahrhundert gar nicht glauben, daß es mit der Wiedereröffnung der weitestgehend im Originalzustand wiederhergestellten Stehbierhalle bis zum Sommer 2004 gedauert hat. Der Blick auf die Babelsberger Parklandschaft ist wieder da, aber auch die Aussicht auf diverse sozialistische Bauten im Park. Die bleiben wohl "aus ästhetischen Gründen" erhalten. Eine mögliche Beeinträchtigung des Weltkulturerbes Babelsberger Park sind sie offensichtlich nicht.

Die MAZ-Serie "100 Jahre Teltowkanal" steht im Internet unter www.MaerkischeAllgemeine.de/teltowkanal (Potsdam-Mittelmark)