Märkische Allgemeine Zeitung 04.03.06
PETER HAHN
Der Sonderzug mit der sowjetischen Delegation traf am
Mittag des 16. Juli 1945 auf dem Potsdamer Bahnhof ein. Die Ankunft hatte sich
um einen Tag verzögert, da der 65-jährige Generalissimus zuvor eine leichte
Herzattacke erlitten hatte. Marschall Shukow begrüßte Stalin auf dem Bahnsteig.
Er war gut gelaunt, hob zum Gruß des Empfangskomitees kurz die Hand und setzte
sich gemächlich in die schwarze ZIS-Limousine. Die Wagenkolonne fuhr in
schnellem Tempo am Park von Babelsberg entlang. In der Kaiserstraße 27 bezog
Stalin Quartier.
Am nächsten Tag um die Mittagsstunde besuchte er mit
Außenminister Molotow den amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman in seiner
Residenz Kaiserstraße 2. Zur gleichen Stunde kehrte der britische Premier
Winston Churchill von einer Stippvisite des Schlosses Sanssouci in sein
Quartier Ringstraße 23 zurück. Um 17.10 Uhr setzten sich die "Großen
Drei" mit ihren Delegationen an den runden Tisch im Schloss Cecilienhof.
Die folgenden Tage waren mit Sitzungen der Regierungs-chefs, ihrer
Außenminister, Militärstäbe und Experten ausgefüllt. Zwischendurch trat
Churchill ab und Clement Richard Attlee als Premier an. In der ersten Stunde
des 2. August endete die "Konferenz von Berlin", wie ihre amtliche
Bezeichnung lautet. Die Regierungschefs reisten aus Babelsberg ab.
Wenige Wochen nach Stalins Tod verabschiedete der
Ministerrat der DDR am 18. Mai 1953 den Beschluss zur Gründung des Museums für
die Geschichte des Potsdamer Abkommens und der Stalin-Gedenkstätte, weil
"dank der Initiative von Generalissimus Stalin die Grundlage zum Aufbau
eines einheitlichen friedliebenden, demokratischen Deutschland" geschaffen
wurde. "Ausgehend vom Beschluss des Zentralkomitees der Sozialistischen
Einheitspartei Deutschlands, 'Erfüllt das Vermächtnis des großen Stalin',
werden das ehemalige Schloss Cäcilienhof in Potsdam und das Stalin-Wohnhaus in
Babelsberg zu nationalen Gedenkstätten des deutschen Volkes erklärt".
Übriggeblieben ist in der heutigen
Karl-Marx-Straße 27 eine Gedenktafel: "In diesem Haus wohnte während der
Verhandlungen der Alliierten zum Potsdamer Abkommen vom 17. Juli bis 2. August
1945 die sowjetische Delegation unter der Leitung von J. W. Stalin."
Zuvor war es die "Villa Herpich", die der
Architekt Alfred Grenander 1910/11 für Paul Herpich, den Inhaber des
"Pelzhauses C. A. Herpich & Söhne", gebaut hatte. Der gebürtige
Schwede hatte bei Wilhelm Martens und Alfred Messel gelernt und unter Paul
Wallot ab 1890 am Reichstagsbau mitgewirkt. Zehn Jahre später begann er für die
"Berliner Hoch- und Untergrundbahn Gesellschaft" zu arbeiten. Die
meisten Bahnhöfe gehen auf seine Entwürfe zurück. U-Bahnhöfe wie
Alexanderplatz, Krumme Lanke, Onkel Toms Hütte, Olympiastadion und viele andere
sind heute noch im Originalzustand erhalten. Er entwickelte mit der
"Kennfarbe" Gestaltungsprinzipien, die immer noch überzeugen, weil
sich damit jede Station durch eine Farbe von der davor beziehungsweise dahinter
liegenden unterscheidet.
Grenanders Stil erregte in einer Zeit Aufmerksamkeit, da
Jugendstil und Gründerzeit bereits im Abklingen waren. Sein Babelsberger Haus
für Paul Herpich geht auf Distanz zu den eher "verklärten" Villen der
Familien Sarre, Lademann oder Müller-Grote. Er zeigt, dass die Stilfrage nicht
nur vom dekorativen Ornament her zu lösen ist. Vereinfachung ist angesagt, die
Klarheit der Linien wird zum bestimmenden Element. Grenander schuf auch in
Neubabelsberg eine einheitliche Gestaltung von sachlicher Eleganz. Im
repräsentativen Erdgeschoss gibt es das, was einen großbürgerlichen Villenbau
auszeichnet: Neben Diele und Empfangsraum wird dem Herrenzimmer vor der
Gartenloggia die zentrale Rolle zugebilligt. Zur Rechten das Damenzimmer, zur
Linken das Speisezimmer mit den anschließenden Küchenräumen.
Das alles musste die Familie Herpich im Frühjahr 1945 für
Stalin verlassen. In den sozialistischen Jahren wurde die Villa von der
"Akademie der Staats- und Rechtswissenschaften der DDR", der höchsten
wissenschaftlichen Ausbildungsstätte für Staatsfunktionäre, und der
"Hochschule für Film und Fernsehen" genutzt. Nach der Wende
verkauften die Erben das Grundstück an den "Bauindustrieverband
Berlin-Brandenburg". Am Griebnitzsee wurde aus einem Wohnhaus ein
Bürohaus, in dem "durch intensive Kontakte zu Politik und Verwaltung die
Interessen der großen und mittelständischen Baufirmen der Region
Berlin-Brandenburg" vertreten werden.
Architekt Alfred Grenander hatte damals auch das
Acht-Meter-Gefälle des Gartens hinab zum Seeufer gestaltet. Mit dem Bau der
Grenzanlagen 1961 schnitt der Kolonnenweg das Grundstück vom Ufer ab. Aus dem
wurde inzwischen ein öffentlicher Uferweg. Das ist nicht schlecht.
Die MAZ-Serie "100 Jahre Teltowkanal" steht im Internet unter www.MaerkischeAllgemeine.de/teltowkanal
(Potsdam-Mittelmark)