Märkische Allgemeine Zeitung 22.02.06

Riesenfeldstecher auf dem Babelsberg
Tek km 00,25: Astrophysikalisches Institut Potsdam / "100 Jahre Teltowkanal" (Teil 25)

Der Teltowkanal existierte erst wenige Jahre, als sich die kaiserliche Wissenschaftsverwaltung entschloss, die in Berlin allmählich rundum "zugebaute" Sternwarte mit einem Großteil der preußischen astronomischen Forschungskapazität ins ruhige Babelsberg zu verlegen.

Unweit der Stelle am Ufer des Babelsberger Parks, an der im Dezember 1900 im Beisein des Kronprinzen mit Böllerschüssen und "Heil Dir im Siegerkranz" der erste Spatenstich für den Teltowkanal erfolgte, wurde nach erfolgreichen Probebeobachtungen auf dem Babelsberg 1913 eine astronomische Forschungsstätte errichtet, die noch heute zu den vier bedeutendsten in Deutschland zählt: die Sternwarte Babelsberg.

Die Baukosten betrugen 1,1 Millionen Goldmark. 450 000 Goldmark war die aus Berlin mitgebrachte wissenschaftliche Gerätetechnik wert. Dazu gehörte mit dem 1915 aufgestellten 65-Zentimeter-Refraktor das erste von Carl Zeiss Jena produzierte Großinstrument zur Himmelbeobachtung.

Nach dem Weltkrieg wurde die Sternwarte 1924 mit dem damals zweitgrößten Fernrohr der Welt ausgerüstet, dem 120-Zentimeter-Spiegelteleskop. Das ging nach dem Zweiten Weltkrieg als Reparationsleistung in die Sowjetunion und wurde auf der Krim installiert. Mit Teleskopen der 8-10-Meter-Klasse wie dem "Riesenfeldstecher" auf dem Mount Graham in Arizona (USA) und dem gerade in Betrieb gegangenen "Large Binocolar Telescope" (LBT) kann das ehemalige Babelsberger Instrument allerdings nicht mehr konkurrieren. Immerhin aber galt Babelsberg bis Mitte des 20. Jahrhunderts als das bestausgerüstete Observatorium Europas.

Hier konnte die Sternenwelt bereits über die Milchstraße hinaus beobachtet werde. Anhand von Lichtspektren ließen sich Details der chemischen Zusammensetzung der Himmelskörper erkennen. Mit der Methode der "Lichtelektrischen Photometrie", die der spätere Sternwartendirektor Paul Guthnick bereits 1913 entwickelt hatte, wurden kontinuierlich die sich verändernden Helligkeitswerte der Sterne gemessen.

Nach 1945 sank die Bedeutung als Forschungsstandort. 1969 wurde die Sternwarte in das neu geschaffene "Zentralinstitut für Astrophysik der Akademie der Wissenschaften der DDR" eingegliedert. So arbeiteten dann auch in Babelsberg ansässige Wissenschaftler beispielsweise auf dem Gebiet der überall im Universum anzutreffenden kosmischen Magnetfelder. Hier erregte Anfang der 1970er Jahre eine bis heute gültige Theorie des Potsdamer Astroforschers Karl-Heinz Rädler über das Auftreten von Magnetfeldern als Folge einer Art Dynamowirkung turbulenter Plasmen im Innern von Himmelkörpern international Aufsehen.

Über die Magnetforschung hinaus ging es am Zentralinstitut auch um eruptive Prozesse auf der Sonne und immer tiefgehender um Fragen der Strukturbildung im Universum, besonders im Hinblick auf großräumige Sternsysteme wie Galaxien und Galaxienhaufen. Diese Forschungen werden auch heute weiter verfolgt. 1992 wurde aus der Sternwarte Babelsberg, dem Großen Refraktor und dem Einsteinturm auf dem Telegrafenberg sowie der Radioastronomie Tremsdorf das "Astrophysikalische Institut Potsdam (AIP)".

Am AIP wird nach wie vor gefragt: Wie funktioniert die Sonne? Welche Bedeutung haben kosmische Magnetfelder? Wie wird ein Stern geboren? Wie sind die vielen Sternsysteme ähnlich unserer Milchstraße, die näheren und weit entfernten Galaxien entstanden? Welche Ordnung herrscht eigentlich im Universum mit seiner so unterschiedlich verteilten Materie?

Diese Fragen versuchen die Wissenschaftler nun nicht mehr mit dem in Babelsberg verbliebenen Instrumentarium zu beantworten, sondern durch Mitnutzung erdgebundener Großteleskope in den USA, Chile und auf Teneriffa sowie satellitengestützter Beobachtungsmöglichkeiten. Das heißt aber nicht, dass die inzwischen denkmalgeschützte Sternwarte von untergeordneter Bedeutung sei. Auf dem Gelände ist ein modernes Institut entstanden.

Dazu trägt vor allem das im Jahr 2000 eröffnete Forschungs- und Technologiegebäude "Schwarzschild-Haus" bei. Dort wird nicht nur die Flut von eintreffenden Beobachtungsdaten in einem Großrechner verarbeitet, sondern auch der hier traditionell angesiedelte Bau astronomischer Beobachtungsinstrumente fortgesetzt - die Sternwarte als Kompetenzzentrum für wissenschaftlichen Gerätebau. Schließlich gibt es Räume, in denen erschütterungsfrei Gerätetests stattfinden, andere, die staubfrei gehalten werden können und solche, die gegen elektromagnetische Wellen abgeschirmt sind.

Weltweit ist heute kaum moderne astronomische Technik anzutreffen, die nicht mit Steuergeräten, Justiereinrichtungen und Software vom Babelsberg arbeiten. Das gilt auch für das neue Riesenteleskop LBT in Arizona.

An den vorhandenen kleinen Teleskopen werden heute Studierende der Universität Potsdam und Physik-Leistungskursschüler von Gymnasien ausgebildet. Dazu gehört nicht zuletzt eine Bibliothek mit mehr als 65 000 Bänden, zum Teil bis ins 15. Jahrhundert zurück reichend. Sie ist in der Kuppel jenes Gebäudes untergebracht, das bis zur Demontage 1946 das Große Spiegelteleskop beherbergte. Im ehemaligen Direktorenhaus, der sogenannten "Turbulenzvilla", gibt es inzwischen für Öffentlichkeit und Forscher ein Medien- und Kommunikationszentrum, das über Museum, Lehrpfad und Seminare dem wissenschaftlichen Erkenntnis- und Erfahrungsaustausch dient und vor allem dazu beiträgt, langfristig von traditionsreicher Stätte aus den wissenschaftlichen Nachwuchs zu sichern.

Die MAZ-Serie "100 Jahre Teltowkanal" steht im Internet unter www.MaerkischeAllgemeine.de/teltowkanal. (Potsdam-Mittelmark)