Märkische Allgemeine Zeitung 21.01.06

 

Der geheime Ort
Tek km 09,50: Deutsche Geschichte auf dem Seeberg / "100 Jahre Teltowkanal" (Teil 16)

Seeberg Modell 1937

Albert Speer intervenierte gegen die Baupläne des Reichspostministers auf dem Kleinmachnower Seeberg. Das Modell von 1937 wurde deshalb nur in abgespeckter Form umgesetzt. Repro: Peter Hahn

JÜRGEN STICH
"Wer auf dem Kleinmachnower Seeberg während der Zeit des Nationalsozialismus und der DDR arbeitete, war Geheimnisträger und zu Stillschweigen verpflichtet. Das riesige Gelände wurde zuerst von der SS, nach 1947 von der Volkspolizei hermetisch abgesperrt."

So beschreibt Hubert Faensen in seinem Buch "Hightech für Hitler. Die Hakeburg - Vom Forschungszentrum zur Kaderschmiede" die Verhältnisse auf dem 44 Hektar großen Gelände am Teltowkanal Kilometer Tek km 09,50.

An den Hängen des 62 Meter hohen Seebergs war bis ins 18. Jahrhundert Wein angebaut worden. Durch den Bau des Teltowkanals im Jahr 1906 wurde der zu dieser Zeit dicht bewaldete Hügel am Machnower See vom alten Dorfkern abgetrennt. Kurz nach der Eröffnung der Wasserstraße ließ Gutsherr Dietloff von Hake den Grundstein für ein Wohnschloss legen.

Der Architekt Bodo Ebhardt stand als Burgenrestaurator in der Gunst Wilhelms II. Die "neue" Hakeburg, wie das Bauwerk zur Unterscheidung vom alten Familiensitz im Ortskern genannt wurde, konzipierte er als Imitat einer mittelalterlichen Trutzburg mit modernem Innenleben. Zur Einweihung am 21. Oktober 1908 wurde der Kaiser auf dem Seeberg erwartet. Der Monarch sagte ab.

Finanziell war Dietloff von Hake mit der Unterhaltung des Wohnsitzes bald überfordert. Er verpachtete die Burg nach 1918 an den Teltower Porzellanfabrikanten Pfannenstiel, zwei Jahrzehnte später verkaufte er das gesamte Anwesen für 2,4 Millionen Reichsmark an die Reichspost. Im Kaufpreis enthalten waren 500 000 Quadratmeter Wald- und Seefläche.

Treibende Kraft des Geschäfts war der im Februar 1937 zum Reichspostminister aufgestiegene Wilhelm Ohnesorge. Er beanspruchte die neue Hakeburg als Amtssitz und ließ sie nach seinen Wünschen umgestalten. An der nördlichen Bergkante entstand in den Jahren nach 1939 die Reichspostforschungsanstalt. Die ursprünglichen Baupläne des Architekten Walther Schmidt waren allerdings nach einer Intervention Albert Speers stark abgespeckt worden. Der Generalbauinspektor von Berlin sorgte sich um das Ortsbild der Landhaussiedlung Kleinmachnow.

Zur Ausführung kamen schließlich sechs mehrgeschossige Institutsgebäude, jeweils 60 Meter lang und 12 Meter breit, mit einem halb unterirdischen Verbindungsgang. Südlich davon entstand ein langgestreckter Techniktrakt mit Heizhaus, im Westen wurden drei Wohnhäuser errichtet.

Der Kriegsausbruch verzögerte die Fertigstellung der Forschungsanstalt bis 1943. Vorübergehend wurden auf der Baustelle Häftlinge aus dem KZ Sachsenhausen und Fremdarbeiter beschäftigt, die im Haus 4 untergebracht waren. Als die Forscher einzogen, übernahm die SS die Bewachung. Die Zufahrten vom Zehlendorfer Damm und der Straße Am Hochwald blieben für Unbefugte unpassierbar.

Bis zu 900 Wissenschaftler und Techniker der Reichspost arbeiteten in Kleinmachnow. Sie entwickelten fernsehgesteuerte Panzer- und Raketensteuerungen und entschlüsselten Geheimcodes des gegnerischen Funkverkehrs. Im Bereich der Kernphysik, auf den Ohnesorge besonderen Wert legte, arbeitete die Reichspost mit Manfred von Ardenne zusammen. Albert Speer behauptete später, dass es dabei um die Vorbereitung einer deutschen Atombombe ging.

Nach dem Krieg, den Hakeburg, Forschungsanstalt und der geflüchtete Postminister relativ unbeschadet überstanden hatten, beanspruchte die Gemeinde das Areal für sich. Die Absicht, ein Spielcasino auf dem Seeberg einzurichten, ließ sich aber nicht verwirklichen. Am 6. Juni 1946 übereigneten die Sowjets das Gelände der SED. Ins Grundbuch eingetragen wurde deren Wirtschaftsorganisation "Fundament GmbH". Nach diversen Umbauten eröffnete am 10. Januar 1948 die SED-Parteihochschule "Karl Marx" ihre Pforten in der ehemaligen Reichspostforschungsanstalt.

Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht weihten die "Waffenschmiede des Sozialismus" ein. Wenige Monate später verkündete Ulbricht in Kleinmachnow den Willen der SED, einen "eigenen Staat" zu gründen.

Bis zum Umzug nach Berlin im Jahr 1954 durchlief die politische Elite der DDR die SED-Universität auf dem Seeberg. Danach residierten dort die Zentrale Kreisparteischule und später die Sonderschule des ZK der SED "Karl Liebknecht".

In der benachbarten Hakeburg, die 1962 in den "Joliot-Curie-Klub" des Kulturbundes umfunktioniert wurde, gaben sich unter anderem Christa Wolf, Wolf Biermann und Manfred Krug die Ehre. Damit war 1967 Schluss. Die Burg diente der SED dann bis zur Wende als Gästehaus. Der Reformer Michael Gorbatschow zählte sicherlich zu den angenehmeren Besuchern. Sechs Jahre nach der politischen Wende von 1989 wurde der Seeberg an die Deutsche Telekom als Rechtsnachfolgerin der Reichspost rückübertragen.

Das Ensemble aus dem "Dritten Reich" wollte die Telekom abreißen, es wurde aber wie auch die Hakeburg rechtzeitig unter Denkmalschutz gestellt. Massive Baupläne für das Areal scheiterten am Widerstand der Gemeinde, so dass nur noch die Vermarktung einzelner Flächen und Gebäude Gewinn versprach.

Das Jahr 2005 brachte schließlich den Durchbruch. Die Berlin Brandenburg International School erwarb die Reichspostbauten.

Eine kommunale Grundschule in Haus 5 sowie eine Freie Waldorfschule ergänzen den Kleinmachnower "Bildungscampus". Die Hakeburg soll als Hotel betrieben werden.

Gemeinde, Telekom und die heutigen Nutzer tun sich mit der Erinnerung schwer. Die sperrige Geschichte des Seebergs reißt Wunden auf. Der historische Ort, an dem sich deutsche Irrungen und Wirrungen beispielhaft bündeln, droht dem kollektiven Gedächtnis zu entgleiten. Für viele ist er noch immer "ein geheimer Ort".

Die MAZ-Serie "100 Jahre Teltowkanal" steht im Internet unter www.MaerkischeAllgemeine.de/teltowkanal (Potsdam-Mittelmark)