Märkische Allgemeine Zeitung 14.01.06

 

Für den König ein "entbehrlicher Luxus"
Tek km 00,04: Jagdschloss Glienicke / "100 Jahre Teltowkanal" (Teil 14)

PETER HAHN
Die Verwirrung um Glienicke ist groß. In Literatur und offiziellen Darstellungen herrscht Chaos. Das liegt schlicht daran, dass es in der Gegend verschiedene Örtlichkeiten mit dem Namen Glienicke gibt. Hilfreich ist es wahrlich nicht, fehlerhaft obendrein, wenn die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung den "Berliner Bereich aus Schloss, Pleasure ground und Park Klein-Glienicke, dem Jagdschloss und Jagdschlosspark Klein-Glienicke, dem Böttcherberg mit der Loggia Alexandra, Nikolskoe, dem Dorf Klein-Glienicke und der Pfaueninsel" bestehen lässt.

Klammert man "Groß Glienicke" jenseits der Havel einmal aus, dann bleibt nördlich der Königstraße das von Karl Friedrich Schinkel im klassizistischen Stil geformte "Schloss Glienicke". Südlich der König-straße - direkt an der Einfahrt zum Teltowkanal - liegen das "Jagdschloss Glienicke" und das Dorf "Klein Glienicke". Während Jagdschloss und Park zum Berliner Stadtgebiet gehören, ist das Dorf Teil von Potsdam-Babelsberg. Überdeutlich wurde diese Grenze in den Jahren von 1961 bis 1989, als "Klein-Glienicke" eingemauert war.

Klein Glienicke war 1375 eines der kleinsten Dörfer im Teltow. Im 15. Jahrhundert ist die Siedlung als landesherrliches Lehen im Besitz der Herren von Schönow bezeugt. Mit ihren Nachfolgern, den Herren von Schlabrendorff, entstand später ein reines Rittergut. Als der Große Kurfürst Potsdam zu seiner zweiten Residenz erhob, kaufte er 1677 das Gut, ließ die Straße von Berlin statt über Stolpe und Kohlhasenbrück über Klein Glienicke führen und von hier nach Potsdam eine Brücke über die Havel bauen.

Das heutige Jagdschloss Glienicke wurde 1682-93 von Charles Philippe Dieussart für den Großen Kurfürsten errichtet. Dazu entstand nördlich der Königstraße ein Gutshof, den Karl Friedrich Schinkel ab 1825 zum "Schloss Glienicke" gestaltete. Unter Friedrich I. wurde das Jagdschloss verschönert, dann aber als "entbehrlicher Luxus" unter dem Soldatenkönig für ein Lazarett genutzt. Friedrich der Große verschenkte es an einen Wachstuch- und Tapetenfabrikanten. Irgendwann gehörte es dem Wilhelm von Türk, der daraus ein Waisenhaus machte. Prinz Carl von Preußen ließ das Schloss 1860/61 durch den Hofarchitekten Ferdinand von Arnim im neobarocken französischen Stil umbauen. Hofbaumeister Albert Geyer stockte 1889 den Mittelbau auf und fügte den Turm an der Wasserseite hinzu.

1939 gelangte das Schloss in den Besitz der Stadt Berlin. Es folgten Jahre als Offizierskasino, Lazarett, Kadettenanstalt der Roten Armee, Kinderheim und Jugendherberge. Max Taut, immer ein wenig, wohl auch zurecht, im Schatten seines Bruders Bruno, hat sich 1963/64 an den Umbau des Jagdschlosses gewagt. Zurückgeblieben ist ein nachhaltiger Eingriff in die barocke Bausubstanz. Er hat das siebenachsige Gebäude erhalten, allerdings an der Vorderfront des Mittelbaus über die beiden unteren Geschosse einen gläsernen Erker eingefügt, der dem Jagdschloss nun leider die französische Leichtigkeit nimmt.

Immerhin hat sich der Berliner Senat seit 1983 bemüht, den Jagdschlosspark zu rekonstruieren. Obwohl der Lennésche "Verschönerungsplan von Potsdam" keine diesbezüglichen Entwürfe enthält, wird davon ausgegangen, dass Lenné und Prinz Carl den Park geschaffen haben. Nach einem Plan von 1862 und einer gartenarchäologischen Studie wurde auf den Pleasure ground verzichtet und das Grün vom Ufer bis an das Schloss herangezogen. Dazu gehörte die Wiederherstellung des Teiches, der neben seiner ästhetischen Bedeutung zugleich die Funktion als Vorfluter für den häufig unter Havelhochwasser leidenden Park erfüllt. Zugewachsene Ausblicke auf die Havellandschaft wurden wiederhergestellt, so dass sich die gerühmten Sichtachsen vom Schloss Glienicke über den Jagdschlosspark hinweg wieder frei hinüber nach Babelsberg und Potsdam entfalten können.

Das mehrteilige Gebäudeensemble wird als "Internationale Begegnungsstätte Jagdschloss Glienicke" genutzt. Die Einrichtung der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport kümmert sich um die pädagogische Arbeit im Jugend- und Erwachsenenbereich. Ihre "interkulturelle, internationale und intergenerative" Ausstrahlung scheint bescheiden, dem Ort jedenfalls in keiner Weise angemessen. Möglicherweise teilt diese Meinung auch der Senat. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Brandschäden vom 31. März 2003 bis heute nicht beseitigt sind. Der Südflügel des Jagdschlosses ist seither eingerüstet und mit einem Notdach versehen. Zum Jubiläum des Teltowkanals wird es wohl nicht anders sein.

Die MAZ-Serie "100 Jahre Teltowkanal" steht im Internet unter www.MaerkischeAllgemeine.de/teltowkanal (Potsdam-Mittelmark)