Märkische Allgemeine Zeitung 14.12.05

 

Ein General in Neubabelsberg
Tek km 00,25: Enver-Pascha-Brücke / "100 Jahre Teltowkanal" (Teil 5)

PETER HAHN

Pascha-Brücke

Für den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk, ausgezeichnet mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, sind bei den zwischen 1915 und 1917 "verübten Massakern etwa 30 000 Kurden und eine Million Armenier getötet worden", doch niemand außer ihm wage es, darüber zu sprechen.

Das stimmt nicht ganz, weil der Potsdamer Pfarrer Johannes Lepsius bereits 1915 beim obersten türkischen Kriegsherren Enver Pascha um Milde für die Armenier bat. Franz Werfel hat 1933 in seinem Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" noch einmal nachgesetzt. Sein fünftes Kapitel stützt sich auf die historische Überlieferung dieser Begegnung. Lepsius besaß Aufzeichnungen von Missionaren, die Augenzeugen der grauenhaftesten Vorgänge waren. Er beschwor Enver Pascha, es genug sein zu lassen. "Sie haben ein Exempel statuiert, wie es in der Geschichte nicht wieder zu finden ist. Hunderttausende leben und sterben auf den Landstraßen des Ostens. Sie wollen ein neues Reich gründen, Exzellenz. Doch der Leichnam des armenischen Volkes wird unter seinen Grundmauern liegen. Ließe sich nicht noch jetzt ein friedlicher Weg finden?"

Enver Pascha blieb ungerührt. "Wer sich in die Politik einlässt, muss zwei Eigenschaften besitzen. Erstens einen gewissen Leichtsinn oder, wenn Sie wollen, Todesverachtung, was ja dasselbe ist, und zweitens den unerschütterlichen Glauben an seine Entschlüsse, wenn sie einmal gefasst sind. Wenn ich einem Fremden gestatte, den Armeniern Hilfe zu bringen, schaffe ich damit einen Präzedenzfall, der die Einmischung fremder Persönlichkeiten und damit ausländischer Mächte anerkennt. Ich mache also meine ganze Politik zunichte. Die Armenier selbst würden sich nicht mehr zurechtfinden. Zuerst bestrafe ich ihre hochverräterischen Träume und Hoffnungen, dann aber sende ich einen ihrer einflußreichsten Freunde zu ihnen, um diese Hoffnungen und Träume wieder zu erwecken. Nein, mein Herr Lepsius, das ist unmöglich, ich kann nicht gestatten, dass Ausländer diesen Leuten Wohltaten erweisen. Die Armenier müssen in uns allein ihre Wohltäter sehen."

Enver Pascha war Politiker, General und Kriegsminister des Osmanischen Reichs und jungtürkischer Nationalist. 1909 kam er als Militärattaché nach Berlin. Drei Jahre wohnte er in Klein Glienicke. In dieser Zeit entwickelte er maßgeblich die engen deutsch-türkischen Bündnisbeziehungen. Da er mit Hilfe preußischer Militärberater und modernen deutschen Waffen das osmanische Militärwesen reformieren wollte, genoss er als Initiator und Garant des Militärbündnisses hohes Ansehen und außerordentliche Popularität. Das führte dazu, dass der 1906 von Babelsberg nach Klein Glienicke errichtete Straßenübergang 1915 den Namen "Enver-Pascha-Brücke" erhielt.

1911 verließ er Berlin. Durch einen blutigen Putsch kam er in seiner Heimat an die Macht - mit nahezu diktatorischen Vollmachten. Er erwirkte 1914 schließlich das Zusammengehen mit Deutschland und Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg, wo unter seinem Oberfehl Hunderte preußische Offiziere und Tausende deutsche Soldaten in der türkischen Armee dienten. 1915 verschärfte er den Staatsterror gegen die Armenier, die der Kollaboration mit dem russischen Kriegsgegner beschuldigt wurden. Seine rigorose Kriegsführung zerrüttete den inneren Zusammenhalt des Vielvölkerstaates und machte die Araber zu entschiedenen Gegnern des Osmanischen Reichs. Nach dem Ende des Weltkrieges musste Enver Pascha fliehen. Er fand Unterschlupf in Neubabelsberg bei dem befreundeten Kunsthistoriker Friedrich Sarre, dem Direktor der Islamischen Abteilung des Berliner Kaiser-Friedrich-Museums. Zwei Jahre später schlug er sich nach Buchara durch, um mit seinen pantürkischen Anhängern in Buchara, Ferghana und Chiwa ein neues Kalifat mit Sitz in Samarkand zu errichten. Den Rest besorgte die Rote Armee. Am 4. August 1922 fiel Enver Pascha bei Baldschuan, nahe der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe.

Als die Sieger des Schinkelwettbewerbes 2005 ihre preisgekrönten Arbeiten für den Neubau von Parkbrücke und Enver-Pascha-Brücke präsentierten, war weder etwas über diese Geschichte noch über eine Namensänderung zu hören. Dabei hatte Brandenburg 2002 als erstes Bundesland den Völkermord an den Armeniern auf den Lehrplan gesetzt. Bekannt wurde auch, dass nach einer Intervention des türkischen Generalkonsuls die entsprechende Stelle zuerst gestrichen, später jedoch nach Protesten der Öffentlichkeit in geänderter Form wieder aufgenommen wurde.

Die Straßenbrücke von Babelsberg nach Wannsee fehlt seit 1945. Mit einer neuen wird auch ein neuer Name fällig.

Die MAZ-Serie "100 Jahre Teltowkanal" steht im Internet unter www.MaerkischeAllgemeine.de/teltowkanal