Märkische Allgemeine Zeitung 02.11.05

 

Stumme Zeugen
Grenzkontrollturm wird saniert / "Gläserne Baustelle" am 9. November

KONSTANZE WILD

KLEINMACHNOW Ja, man habe es beim Abriss tatsächlich vergessen - das oft "fälschlicherweise als Wachturm" bezeichnete Bauwerk, erklärt Peter Boeger und deutet auf die Spuren der "Zähne" einer Baggerschaufel, die sich bereits in den Beton vor der Haustür gefressen hatten. Unweit der A 115, am Rande des heutigen "Europarc Dreilinden", liegt der mit Graffiti "geschmückte" Bau wie ein Mahnmal auf einer Brache, die die Natur sich zurückzuerobern bemüht. Verblühte Gräser säumen eine begonnene Zufahrt. Im Hintergrund die Ebay-Zentrale, neues "Wahrzeichen" eines Geländes, das einst zur größten Grenzübergangsstelle (GÜST) der DDR gehörte.

Zehn Millionen Menschen passierten jährlich den Grenzkontrollpunkt Drewitz auf dem Weg zwischen West-Berlin und dem Bundesgebiet. Die Amerikaner nannten den Übergang Allied Checkpoint Bravo. Dem Alphabet folgend galt für Helmstedt der Name Checkpoint Alpha, für die Friedrichstraße Checkpoint Charlie. Nachdem ab 1993 Abrissbagger an der GÜST ihr Werk taten, rettete den Turm 1994 der Denkmalschutz.

Eine Kommandozentrale sei das gewesen, berichtet Boeger. Hier liefen die Drähte zusammen, verstaubte Relaisstationen stehen als stumme Zeugen im Erdgeschoss. Der Leiter des Informations- und Dokumentationszentrums an der Stasi-Unterlagenbehörde hat nicht nur berufliches Interesse an der ehemaligen Grenzanlage. "Viel Lebenszeit" verbrachte der gebürtige West-Berliner an der Transitstrecke. In Staus, unter der vielen so vertrauten wie bedrückenden Abfertigungs-Atmosphäre. Im Turm saßen keine einfachen Wachen, sondern ausgewähltes, hochrangiges Personal, das im 1. Stock via Monitor das Geschehen verfolgte. Per Schaltpult konnte etwa ein riesiger "Lolli" in Bewegung gesetzt werden: Das ultimative Mittel, Fahrzeuge durch eine tonnenschwere Verriegelung zu stoppen. Auch die Durchleuchtung von Pkws mit radioaktiven Strahlen, um versteckte Personen aufzuspüren, zeigt, dass es sich an der Transit-Strecke um keine "normale Passkontrolle" handelte, betont der Kleinmachnower. Doch viel Technik sei in den Wirren der Wende schnell wie konspirativ verschwunden. (Potsdam-Mittelmark)

 

Fälle von gelungenen und missglückten Fluchtversuchen sind hingegen bekannt. Mit manchem Schicksal hat sich Boeger persönlich befasst. Da war der junge Mann, der seinen Motorroller über die Grenze schob, einen Koffer balancierend, darin - seine Verlobte. Das Ehepaar lebt heute bei Pforzheim - der Koffer soll an die Erinnerungsstätte zurückkehren. Wer hier scheiterte, kam ins "Lindenhotel". Drastisch beschreibt Boeger die Verhältnisse in Potsdams ehemaligem Stasi-Gefängnis in der Lindenstraße.

"Um miteinander zu reden", gründete sich 1998 in Kleinmachnow der Verein "Checkpoint Bravo". Ost und West trafen aufeinander, kontrovers ging es zu. Doch letztlich war man sich einig, dass der Turm als Erinnerungs- und Begegnungsstätte Anknüpfungspunkt sein müsse, um "Geschichte lebendig" zu halten, erinnert sich Boeger, der 2002 den Vereinsvorsitz übernahm. Am Anfang war das Vergessen: "Wir haben genug unter der Grenze gelitten", hieß es hüben und drüben. Heute, glaubt Boeger, müsse man "keine große Überzeugungsarbeit mehr leisten" - in dem Bemühen, Spuren zu erhalten. Obgleich es die "ewig Gestrigen" noch gäbe, die in Bezug auf die Grenzanlagen "das Recht eines legitimen Staates im Nachhinein kriminalisiert sehen".