Märkische Allgemeine Zeitung 02.05.05

Der erste Schleusenwärter
Wilhelm Heß: Vier Jahrzehnte Dienst am Teltowkanal

PETER HAHN

W as macht einen Unterschied zwischen Hamburg und Kleinmachnow aus? In der Hansestadt ernennt die "Congregation der Alster-Schleusenwärter" den spendierfreudigen Kaffeehersteller Albert Darboven zum "Ehren-Alster-Schleusenwärter". Den Kleinmachnowern ist der erste Schleusenwärter Wilhelm Heß dagegen keinen Gedenkstein wert.

"Lange schien der Prominentenvorort bei Berlin ohne Erinnerung zu sein", schreibt die Autorin Angela Martin. Das ist schlicht falsch. Kleinmachnow lebt ohne Erinnerung. Wer interessiert sich von den "alten" Kleinmachnowern schon für Wilhelm Heß, der als Rotkreuzhelfer am 25. April 1945 durch Soldaten der Roten Armee erschossen wurde, wer von den "neuen" dafür, dass Wilhelm Heß immerhin von 1904 bis zu seinem Tod vier Jahrzehnte für den Schleusenbetrieb sorgte.

Wilhelm Heß wurde am 10. September 1877 in Ostpreußen geboren. Irgendwie muss es sich bis dorthin herumgesprochen haben, dass der Königliche Baurat Christian Havestadt am 29. April 1898 auf der Sitzung des "Central-Vereins für Hebung der deutschen Fluss- und Kanalschiffahrt zu Berlin" das Teltow-Kanal-Projekt bekannt gemacht hatte. Das Unternehmen schien realistisch, als am 22. Dezember 1900 der Spatenstich erfolgte. Ab 1904 war der gelernte Maschinenbauer zuerst als Kanal- und dann als Schleusenbauer dabei.

Dann der große Augenblick am 2. Juni 1906: Aus der Glienicker Lake kommend, hielt die Yacht "Alexandra" mit Kaiser und Landrat Kurs auf den Teltowkanal. Vor der Kanaleinfahrt warteten die Dampfer der Kreisschifffahrt "Wannsee" und "Steglitz" mit den Ehrengästen. Als das weißrote Atlasband passiert war, war der Teltowkanal offiziell eröffnet, und der Konvoi nahm Kurs auf die Schleuse Kleinmachnow. Dort stand, "Seiner Majestät zur Ehre, der Mark zum Nutzen", das Personal bereit, um die Herrschaften vom Unterwasser ins Oberwasser zu hieven. Mit dabei Wilhelm Heß, inzwischen befördert zum Schleusenwärter.

Diese Tätigkeit, die Heß über vier Jahrzehnte bei Wind und Wetter ausübte, erforderte neben einer widerstandsfähigen körperlichen Konstitution vor allem Umsicht und Übersicht. Dazu gehörte die Beobachtung der Ein- und Ausfahrten ebenso wie das Fluten und Ablassen, Wartung, Instandhaltung, und Reparaturen inklusive.

Dafür wurden Wilhelm, Frieda geb. Krull und die Töchter Erna und Käthe mit einer spektakulären Adresse belohnt: Machnower Schleuse. Auf der Nordseite und längs der Schleusenkammer befand sich das "Schleusen-Wirtshaus" mit einem Gartenrestaurant und darüber die Wohnung der Familie. Gegenüber in einer Holzbude frönte Heß seinem Hobby, schließlich war er als Hauptmann in schmucker Uniform obendrein auch Sanitätszugführer beim Roten Kreuz.

Als am 29. Februar 1920 die erste Volksvertretung von Kleinmachnow zu wählen war, stellten sich den 248 Wahlberechtigten 14 Bürger "aus Dorf, Siedlung, Bahnwärterhäuser und Schleuse" zur Wahl, darunter neben Förster Funke auch der Schleusenwärter Heß. Er wurde Gemeindevertreter. Vier Jahre später bei der zweiten Wahl war der Frieden dahin. Die gewachsene "Siedlung" fühlte sich vom "Dorf" benachteiligt und umgekehrt. Unterschiedliche politische Positionen kamen hinzu, Siedlung, Dorf, Buschgraben, KPD und Herr Rüdiger als Sprecher der Villenkolonie. Wilhelm Heß war nicht mehr dabei.

Jahre später, als die Rote Armee am 24. April 1945 begonnen hatte, Berlin auch vom Süden anzugreifen, wurden Teltowkanal und Kleinmachnower Schleuse zum Brückenkopf der Wehrmacht. Die Familie flüchtete aus der Wohnung nach Schlachtensee - Wilhelm Heß, der Hauptmann vom Roten Kreuz, in Uniform. Am 25. April 1945 wurde er wohl wegen dieser Tracht von Soldaten der Roten Armee auf der Straße erschossen.

Sein Grab befindet sich auf dem Waldfriedhof Kleinmachnow, Grabstelle A 0/257. Ohne einen Gedenkstein wird Wilhelm Heß in der Geschichte Kleinmachnows wohl auch zukünftig nicht vorkommen.